Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...
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wissenschaftlichen Diskurs sichern könnte. Hans Mendl, dem zufolge der Ausgangspunkt <strong>und</strong><br />
das Ziel des theologischen Forschens in einem aufgeklärten Christentum der mündige Christ<br />
ist 320 , begründet die Notwendigkeit des konstruktivistischen Denkens mit dem Wandel in der<br />
Art zu glauben nach dem II. Vatikanischen Konzil: Hier habe es eine Entwicklung gegeben<br />
vom Gehorsamsglauben zum Verstehensglauben, vom Bekenntnisglauben zum<br />
Erfahrungsglauben, vom Leistungsglauben zum Verantwortungsglauben. 321<br />
Was die <strong>Theologie</strong> darüber hinaus vom <strong>Konstruktivismus</strong> lernen kann, ist in erster Linie<br />
Bescheidenheit. Wenn wir in der <strong>Theologie</strong> oder <strong>im</strong> Christentum allgemein sagen, dass es<br />
keinen objektiv richtigen Zugang zur Realität an sich gibt (was nicht ausschließt, dass es diese<br />
Realität gibt), dann führt das zur Akzeptanz <strong>und</strong> Förderung von Vielfalt – innerhalb der<br />
eigenen Konfession, zwischen den einzelnen Konfessionen, aber auch zwischen den einzelnen<br />
Religionen <strong>und</strong> Weltanschauungen. Konkret könnte das bedeuten:<br />
- Überlieferte Konstruktionsprinzipien müssen hinterfragt werden; ihre Sinnhaftigkeit<br />
<strong>und</strong> Verantwortbarkeit muss in Frage gestellt werden; es muss überprüft werden, ob<br />
Wirklichkeitskonstruktionen, die <strong>im</strong>mer als objektiv wahr <strong>und</strong> zeitlos gesehen worden<br />
sind, nicht längst überholt sind.<br />
- Man muss einsehen lernen, dass man nicht objektiv festlegen kann, wie <strong>Theologie</strong>,<br />
Christentum <strong>und</strong> Kirche auszusehen haben, <strong>und</strong> dass Entscheidungen getroffen werden<br />
müssen, wobei diese nicht als objektiv gültig, sondern als subjektiv verantwortbar<br />
dargelegt werden müssen. Wallich betont, dass Dogmen „nicht als feste<br />
Satzwahrheiten, sondern als <strong>Wahrheit</strong>en relationaler Wirklichkeit bleibende Gültigkeit<br />
[haben].“ 322 Deshalb hat die Kirche die Pflicht, die Viabilität ihrer Glaubenssätze, d.h.<br />
deren Nutzen für die Praxis, <strong>im</strong>mer wieder unter Beweis zu stellen. 323<br />
- Normierungsprozesse, die auf Homogenisierung zielen, sollten in Frage gestellt<br />
werden. Stattdessen sollte eine durch kulturelle Unterschiede entstehende Vielfalt<br />
akzeptiert werden. Dabei sollten Räume geöffnet werden, in denen die Erfahrungs- <strong>und</strong><br />
Erlebenswelt der Menschen (aller Generationen) aufgegriffen <strong>und</strong> ernst genommen<br />
werden können.<br />
320 Vgl. MENDL 2005a, 183.<br />
321 Vgl. MENDL 2005a, 183. Hans Mendl tritt – mit Blick auf die religionspädagogische Praxis – ein für eine<br />
Verbindung zwischen instruktivistischen <strong>und</strong> konstruktivistischen Denklinien, die er als „pragmatische integrierte<br />
Position“ bezeichnet. Diese erlaube es ihm, sowohl an der transzendenten Verwiesenheit des Menschen auf den,<br />
der in der jüdisch-christlichen Tradition „Gott“ genannt wird, festzuhalten <strong>und</strong> zugleich dem Menschen (der in der<br />
jüdisch-christlichen Tradition als „Abbild des Schöpfers“ <strong>und</strong> als „Krone der Schöpfung“ gesehen wird) als<br />
Subjekt gerecht zu werden. Vgl. MENDL 2005a, 180.<br />
322 WALLICH 1999, 449.<br />
323 Vgl. WALLICH 1999, 449.<br />
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