Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...
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kein geschichtswissenschaftlicher Streit, sondern ein Streit „um das bessere<br />
Wirklichkeitsverständnis in den 1990er Jahren.“ 306 Ob jemand die Erscheinungen als rezeptiv<br />
oder als produktiv betrachtet oder nicht, hängt von seinem Wirklichkeitsverständnis ab, d.h.<br />
von der Tatsache, ob dieses Wirklichkeitsverständnis eine Existenz Gottes <strong>und</strong> ein<br />
schöpferisches Eingreifen dieses Gottes einschließt oder nicht. 307 Versucht man in historischer<br />
Hinsicht, diese Erfahrungen der Urchristen zu beleuchten, besteht für Lampe keinen Zweifel,<br />
dass es sich um rezeptive Erfahrungen handelt, <strong>im</strong> Rahmen der von ihnen konstruierten<br />
Wirklichkeit. Über die ontische Realität dieser Erfahrungen kann allerdings aus<br />
konstruktivistischer Hinsicht als Wissenschaftler eo ipso nichts sagen. 308<br />
4.3.9 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> „relationale <strong>Theologie</strong>“<br />
Abschließend möchten wir der bereits mehrfach zitierten Monographie von Matthias Wallich<br />
noch einen eigenen Abschnitt widmen. Wallich sucht spezifischer nach Anknüpfungspunkten<br />
zwischen dem <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> G. Hasenhüttls Konzept der „relationalen <strong>Theologie</strong>“.<br />
Hasenhüttls „relationale <strong>Theologie</strong>“ ist für ihn selbst eine zeitgemäße Antwort auf die Gott-isttot-<strong>Theologie</strong><br />
<strong>und</strong> die moderne Verzweiflung angesichts der Gottesfrage. Indem er Gott als<br />
„Prädikat für die Liebe“ bzw. als „Wort für die Erfahrung des Beschenktseins <strong>im</strong> Dialog“ 309<br />
definiert, verortet er den Bereich Gottes in den Bereich der Beziehung, des<br />
Zwischenmenschlichen, des Dialogischen, anstatt in den Bereich des verobjektivierenden<br />
Denkens. Zwischenmenschliche Beziehungen sind der Ort, an dem der relationalen <strong>Theologie</strong><br />
zufolge Gott erfahrbar wird, an dem „Unbedingtes <strong>im</strong> Bedingten“, „Eindeutiges <strong>im</strong><br />
Zweideutigen“ 310 sich ereignet. Deshalb ist ein biblischer oder ein dogmatischer Satz nur dann<br />
wahr, „wenn er existentiell nachzuvollziehen, d.h. dialogisch einlösbar ist, als <strong>Wahrheit</strong> über<br />
die dialogische Struktur des Menschen interpretiert werden kann; eine Absicherung <strong>und</strong> eine<br />
306 LAMPE 1997, 361.<br />
307 Vgl. LAMPE 1997, 361.<br />
308 Vgl. LAMPE 1997, 360. Lampe unterstreicht, dass nicht nur unser gegenwärtiges Wirklichkeitsverständnis ein<br />
kognitives Konstrukt ist, sondern auch unser Wirklichkeitsverständnis der Geschichte. Die Geschichtsschreibung,<br />
so deutlich sie auch sein mag, ist – so der Konstruktivist – prinzipiell nicht in der Lage, die ontische Realität<br />
abzubilden. Insofern ist Geschichtsschreibung in konstruktivistischer Hinsicht nicht Re-Konstruktion, sondern<br />
Konstruktion – auf Axiomen gründend, die von den vier erläuterten Evidenzquellen (kognitive Konstruktion,<br />
soziale Bestätigung, sinnliche Wahrnehmung <strong>und</strong> emotionale Erfahrung) beeinflusst werden. Vgl. LAMPE 1997,<br />
365-366.<br />
309 WALLICH 1999, 34.<br />
310 WALLICH 1999, 33.<br />
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