Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...
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irreversibel geworden, auch in der <strong>Theologie</strong>.“ 246 Natürlich ist Dalferth zuzust<strong>im</strong>men, wenn er<br />
dabei anmerkt, dass die <strong>Theologie</strong> auf diese Umstellungen bisher nur ansatzweise reagiert hat.<br />
Klein stützt sich vor allem auf Dalferths 1991 veröffentliche Monographie „Kombinatorische<br />
<strong>Theologie</strong>“. Darunter versteht Dalferth eine <strong>Theologie</strong>, die verschiedene Bezugssysteme wie<br />
Glaube, Kirche, Religion, Recht, Wissenschaft, Lebenserfahrung zu kombinieren versucht.<br />
Dabei geht es ihm darum, als Theologe diejenige „<strong>Wahrheit</strong> zu finden [...]“, die in unserer<br />
gegenwärtigen Situation „Orientierungsfähigkeit, Auskunftsfähigkeit <strong>und</strong> Gestaltungskraft<br />
christlichen Glaubenslebens ermöglicht <strong>und</strong> fördert.“ 247 Dalferth – <strong>und</strong> das macht ihn für die<br />
<strong>Konstruktivismus</strong>debatte interessant – scheint also mit einem pragmatischen oder operativen<br />
Wissenschaftsbegriff zu operieren. Er versteht die <strong>Theologie</strong> pr<strong>im</strong>är als Orientierungs- oder<br />
Deutungswissenschaft. Deshalb ist davon auszugehen, dass er auch die <strong>Wahrheit</strong>, die er suchen<br />
möchte, nicht als theoretische <strong>Wahrheit</strong>, sondern als Orientierungswahrheit oder als<br />
Existenzwahrheit begreift. 248 Hier befinden wir uns mitten <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong>, in dem die<br />
klassische <strong>und</strong> traditionelle <strong>Wahrheit</strong>sfrage abgelöst wird. Oben haben wir hervorgehoben,<br />
dass die konstruktivistische Erkenntnistheorie eine Kognitionstheorie ist, d.h. dass die<br />
traditionelle erkenntnistheoretische Frage nach Inhalt <strong>und</strong> Gegenstand von Wahrnehmung <strong>und</strong><br />
Bewusstsein ersetzt wird durch die Frage nach dem „Wie“. Es wird sich auf den<br />
Erkenntnisvorgang (<strong>und</strong> dessen Wirkungen <strong>und</strong> Ergebnisse) konzentriert. Im Vordergr<strong>und</strong><br />
stehen nicht Fragen in Bezug auf die „Realität“ oder die prinzipielle Erkennbarkeit Gottes,<br />
sondern sinnvolle Handlungsoptionen <strong>und</strong> Anschlussmöglichkeiten: Welche Beschreibungen<br />
<strong>und</strong> Interpretationen sind in best<strong>im</strong>mten situativen Begebenheiten plausibilisierbarer <strong>und</strong><br />
anschlussfähiger? Klein zufolge ist es auch für die <strong>Theologie</strong> weitaus fruchtbringender, auf<br />
ontologische Fragen wie „Was gibt es eigentlich?“ zu verzichten <strong>und</strong> auf operative<br />
Konzeptionen umzuschalten, <strong>und</strong> danach zu fragen, wie ‚Gott’ <strong>und</strong> mit welchen Mitteln<br />
246 DALFERTH 1991, 5. Johannes Fischer hat in einem 1994 veröffentlichten Artikel aufzuzeigen versucht, welche<br />
Konsequenzen der Pluralismus, der sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Volkskirchen<br />
offensichtlich ausbreitet, für die <strong>Theologie</strong> hat: „Wie lässt sich unter pluralistischen Bedingungen [...] der<br />
Anspruch auf <strong>Wahrheit</strong> aufrechterhalten <strong>und</strong> vertreten?“ (FISCHER 1994a, 492). Fischer spricht viel von<br />
Intersubjektivität <strong>und</strong> von Kommunikation (als Erschließungsform von Wirklichkeit), gibt jedoch selber zu, dass<br />
er keine endgültige <strong>und</strong> überzeugende Antwort auf die Frage hat. So bleibt ihm am Ende nur die Feststellung, dass<br />
die <strong>Theologie</strong>, die sich nicht von der Glaubenspraxis der Gemeinden loslösen darf, so redet, dass Menschen mit<br />
verschiedenen Überzeugungen sich dennoch darin wiederfinden: „Man muss das Gemeinsame so zurückhaltend<br />
<strong>und</strong> weit fassen, wenn man den Verhältnissen gerecht werden will.“ (FISCHER 1994a, 530) Jedenfalls illustriert<br />
Fischers Artikel sehr gut die Krise, in die die Dogmatik in letzter Zeit geraten ist, <strong>und</strong> wie die gegenwärtige<br />
<strong>Theologie</strong> mit diesen Fragen ringt.<br />
247 DALFERTH 1991, 6.<br />
248 Vgl. KLEIN 2003, 411-412.<br />
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