09.06.2014 Aufrufe

Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

4.3.5 Wider den Absolutismus in der Kirche<br />

Im 3. Kapitel („Ethische Konsequenzen des <strong>Konstruktivismus</strong>“) haben wir vom Verlangen<br />

nach Stabilität, dem Wunsch nach objektiver Erkenntnis gesprochen. Hierbei handelt es sich<br />

um ein tiefes Bedürfnis des Menschen, das der Sehnsucht nach absoluter Sicherheit<br />

entspricht. 229 Gerade dieses Verlangen ist auch in kirchlichen Kreisen sehr verbreitet. In<br />

konstruktivistischen Kreisen allerdings ist man sich einig: Absoluter <strong>Wahrheit</strong>sanspruch führt<br />

notwendig zur Unterdrückung. 230<br />

Dass die Kirche ein absolutistisches System sei, das die Menschen ausbeutet <strong>und</strong> tyrannisiert,<br />

ist eine Behauptung, die man so <strong>und</strong>ifferenziert sicherlich nicht machen kann. Die Erfahrung<br />

zeigt aber, dass die von Maturana gesehenen Gefahren durchaus auch in Bezug auf die Kirche<br />

existieren. So hat z.B. der Kirchenkritiker Eugen Drewermann für sich keinen anderen Ausweg<br />

mehr gesehen als 2006 aus der Kirche auszutreten. In einem Interview kritisiert er rückblickend<br />

an der Kirche, dass „die Subjektivität, die zum Glauben gehört, einfach [...] an die objektive<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung mit best<strong>im</strong>mten kirchlichen Formeln <strong>und</strong> Riten [delegiert wird]“, <strong>und</strong> er<br />

zitiert in diesem Zusammenhang den Philosophen Hegel: „Der Katholizismus macht aus Gott<br />

ein Ding.“ Im Zentrum seiner priesterlichen Existenz in der katholischen Kirche hätten <strong>im</strong>mer<br />

Kontrollfragen gestanden: „Muss man, um Weihnachten zu erklären, glauben, dass Maria<br />

biologisch eine Jungfrau war? Ich glaube nicht! Leugnet man die Auferstehung, wenn man<br />

sagt, dass man dabei nicht an ein physikalisches leeres Grab Jesu glauben muss? Ich glaube<br />

nicht!“ 231 In der Tat erleben viele Menschen die Kirche in vielen Fragen als eine starre<br />

Institution, die sich durch ein ausgeprägtes Verlangen nach Stabilität, nach einer dem Wandel<br />

entzogenen Wirklichkeit mit absoluten Werten <strong>und</strong> einem absoluten <strong>Wahrheit</strong>sanspruch<br />

auszeichnet. Konkret bedauern viele Menschen, dass 40 Jahre nach dem Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil von der damaligen Aufbruchst<strong>im</strong>mung nicht mehr viel zu spüren ist,<br />

sondern sich <strong>im</strong> Gegenteil <strong>im</strong>mer mehr restaurative Tendenzen entwickeln, die versuchen,<br />

angebliche Irrtümer des Konzils rückgängig zu machen. Bei neuen Bischofsernennungen ist<br />

vermehrt festzustellen, dass Bischofskandidaten vor allem aus dem Kreis derjenigen gewählt<br />

werden, die sich durch eine lupenrein kritikfreie Loyalität gegenüber der Kirche <strong>und</strong><br />

insbesondere gegenüber der „römischen Zentrale“ auszeichnen. Auch die letzte Papstwahl<br />

zeugt sicherlich von diesem Verlangen nach Stabilität. Viele andere Themen könnte man hier<br />

nennen: Die Verknüpfung von Priestertum <strong>und</strong> Zölibat, der Ausschluss der Frauen bei der<br />

229 Vgl. ERDMANN 1999, 76.<br />

230 Vgl. SCHMIDT 1987a, 47.<br />

231 MEESMANN 2006, 51.<br />

58

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!