Online-Journalismus - Netzwerk Recherche
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Thomas Mrazek<br />
„Bild“ und – seit dem Frühjahr 2009 – anderer Medien werktäglich aufs Tapet<br />
bringt und damit auch eine Form von Agenda Setting betreibt.<br />
Einen typischen Fall bietet das pharmakritische Blog Stationäre Aufnahme<br />
(http://gesundheit.blogger.de). Das Blog wurde der Öffentlichkeit im Sommer<br />
2008 bekannt, als es dokumentierte, wie der Gesundheitsexperte Hademar Bankhofer<br />
im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Schleichwerbung betrieb. Bemerkenswert<br />
ist hier unter anderem, dass der anonyme Experte und Blog-Betreiber dieses<br />
Angebot schon seit 2006 auf einem in der Fachwelt anerkannten Niveau betreibt.<br />
Bis zu dieser Enthüllung wurde das Blog nur selten von herkömmlichen Medien<br />
wahrgenommen. Die Erwähnung und Verlinkung in anderen Blogs spülte die Nachricht<br />
nach oben, andere Medien recherchierten. Der WDR beendete schließlich<br />
seine Zusammenarbeit mit Bankhofer.<br />
Ein weiterer interessanter Fall ereignete sich Anfang 2009. Das Blog Netzpolitik.org<br />
veröffentlichte einen vertraulichen Vermerk des Berliner Beauftragten für Datenschutz<br />
und Informationsfreiheit über ein Gespräch mit der Deutschen Bahn AG. In<br />
dem Dokument ging es um das heikle Thema Mitarbeiter-Bespitzelung beim Bahn-<br />
Konzern. Netzpolitik-Betreiber Markus Beckedahl wurde wegen dieser Veröffentlichung<br />
von der Deutschen Bahn abgemahnt. Nicht zuletzt aufgrund des großen<br />
Drucks aus anderen Blogs und sozialen <strong>Netzwerk</strong>en zog die Bahn ihre Abmahnung<br />
zurück. Hier zeigte sich vor allem wie schnell und effizient sich eine „Gegen-<br />
Öffentlichkeit“ formieren kann. Die Welle schwappte dann auch schnell in die klassischen<br />
Massenmedien über, die über die Abmahnung berichteten.<br />
Welche strategischen Vorteile haben Blogs im Kontrast zum „etablierten <strong>Journalismus</strong>“?<br />
Der größte Vorteil dürfte wohl die redaktionelle Unabhängigkeit von Blogs sein –<br />
Blogger müssen bei ihrer Publikationstätigkeit keinerlei Rücksichten etwa auf<br />
redaktionelle Leitlinien oder latent vorhandene Grenzen wie etwa die berühmte<br />
„Schere im Kopf“ nehmen. Das Publikum erwartet von Blogs nicht unbedingt eine<br />
kontinuierliche Berichterstattung wie bei klassischen Massenmedien, Themen<br />
können im Idealfall frei nach Lust und Laune und zeitlich vorhandener Kapazität<br />
oder Kompetenz ausgewählt werden. Andererseits wächst mit zunehmenden<br />
Erfolg für bestimmte Blogs auch der Druck, immer auf dem Laufenden zu sein und<br />
aktuelle Entwicklungen kontinuierlich auf dem Radar zu haben. Auch brauchen<br />
sich Blogger beim Publizieren nicht unbedingt an die einschlägigen journalis -<br />
tischen Regeln halten; dass diese Freiheit nicht immer zu einer ausgewogenen<br />
und fairen Berichterstattung führt, ist natürlich auch anzumerken. Andererseits<br />
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