Online-Journalismus - Netzwerk Recherche
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Die dritte Medienrevolution frisst ihre Cousins<br />
anhängen. Es gibt nur sehr wenige Leser,<br />
Zuhörer oder Zuschauer, die darauf<br />
pochen, die gegnerische Meinung ausführlicher<br />
zu Wort kommen zu lassen.<br />
Zumal unklar bleibt, wie Journalisten<br />
auf die Leserreaktionen reagieren sollen.<br />
Kürzlich fand sich auf einer Nachrichtenwebsite<br />
eines tendenziell konserva -<br />
tiven Mediums ein Artikel, der das<br />
Adoptionsrecht für Homosexuelle positiv<br />
bewertete. Darunter fanden sich<br />
zahlreiche Leserkommentare. Mehr als<br />
zwei Drittel der Leser äußerten sich<br />
zum Teil aggressiv homophob. Wie also<br />
soll ein Redakteur mit diesen Reaktionen<br />
umgehen? Künftig lieber schwulenfeindliche<br />
Artikel schreiben? Noch mehr<br />
68<br />
liberale Artikel verfassen, um die Homophoben<br />
zu überzeugen? Werden seine<br />
Artikel besser, jetzt wo er weiß, dass<br />
die Mehrheit seiner Leser anders<br />
denkt? Oder handelt es sich gar nicht<br />
um die Mehrheit der Leser, sondern nur<br />
um jene, die sich die Mühe machen,<br />
einen elektronischen Leserbrief zu<br />
schrei ben? Und wie soll der Redakteur<br />
mit „puffi203“ oder „ernst_jünger“ in<br />
ernsthaften Kontakt treten? Letztlich<br />
bleibt die Bewertung und Einordnung<br />
der Leserreaktionen wie eh und je den<br />
Journalisten überlassen. Die Hoffnung,<br />
allein die Kakophonie des Internets<br />
mache die Gesellschaft demokratischer<br />
und den <strong>Journalismus</strong> automatisch<br />
besser, erweist sich als eine Illusion.<br />
Zur Person: Markus Reiter ist Kommunikationstrainer, Journalist und Medienberater. Mit seinem Büro<br />
Klardeutsch in Stuttgart unterstützt er Zeitungen, Zeitschriften und Internet-Redaktionen beim Medienwandel.<br />
Reiter hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte an den Universitäten Bamberg,<br />
Edinburgh und der FU Berlin mit dem Abschluss Diplom-Politologe studiert. Nach Tageszeitungs-<br />
Volontariat war er freier Mitarbeiter u. a. für das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt,“ die „Neue Zeit“<br />
und die „Berliner Morgenpost“. Dann PR-Berater für Politik in europäischen Projekten. 1997 bis 2000<br />
zunächst Reporter, dann stellvertretender Chefredakteur von Reader’s Digest Deutschland. 2000 bis 2002<br />
Feuilletonredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Von Januar 2003 bis September 2006 war<br />
Reiter Chefredakteur und Mitglied der Geschäftsleitung einer süddeutschen Kommunikationsagentur.<br />
Reiter ist Dozent in der Aus- und Weiterbildung an mehreren Journalisten-Akademien. Er hat zahlreiche<br />
Bücher und Artikel zum Thema Sprache, Kommunikation und Medien veröffentlicht. Reiter lebt in Stuttgart<br />
und Berlin. 2010 erschien von ihm: „Dumm 3.0. Wie Twitter, Blogs und Networks unsere Kultur bedrohen“<br />
im Gütersloher Verlagshaus. www.klardeutsch.de