Online-Journalismus - Netzwerk Recherche
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Interview<br />
weiß ich aus meiner intensiven Beobachtung, dass sich die Zahl der „Betriebsunfälle“<br />
aufgrund dieser Form der Berichterstattung aus Blogs in einem überschaubaren<br />
Rahmen hält. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.<br />
Wo sehen Sie die wesentlichen Defizite von Blogs in Deutschland?<br />
Hier muss ich an eine Kritik des Bloggers Don Alphonso anknüpfen, der die deutschen<br />
Blogs für zu selbstreferentiell hält. Das große Politik-Blog fehlt einfach,<br />
wenn man mal von den Nachdenkseiten absieht, die aber nicht mal eine Kommentarfunktion<br />
unter ihren Artikeln anbieten und somit nicht unbedingt ein klassisches<br />
Blog darstellen. Die nachhaltige Vernetzung der Blogger untereinander<br />
lässt auch zu wünschen übrig. Ob Deutschland mit rund 200.000 Blogs im Vergleich<br />
zu anderen Ländern mehr oder weniger nur ein „Blog-Entwicklungsland“ ist,<br />
wie es der ehemalige Focus <strong>Online</strong>-Chefredakteur, Jochen Wegner einmal<br />
beschrieb, vermag ich nicht zu beurteilen. Persönlich hatte ich bis vor fünf Jahren<br />
erwartet, dass in Zukunft viel mehr (vielleicht eine Million) Deutsche bloggen würden,<br />
doch der Funke sprang nicht über. Selbstkritisch muss ich anmerken, dass<br />
meine eigenen Blog-Projekte – aus Zeitmangel – derzeit eher dem Dornröschenschlaf<br />
anheim fallen.<br />
Einer der führenden <strong>Online</strong>-Journalisten einer führenden Tageszeitung sagte<br />
kürzlich: „Die Bedeutung und Reichweite des <strong>Online</strong>-<strong>Journalismus</strong> in Deutschland<br />
wird überschätzt.“ Teilen Sie diese Einschätzung?<br />
Nein, ich teile diese Einschätzung nicht, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: der<br />
<strong>Online</strong>-<strong>Journalismus</strong> in Deutschland wird unterschätzt. Das drückt sich vor allem<br />
durch die mangelnde Wertschätzung des Genres – auch unter Journalisten selbst<br />
– aus: <strong>Online</strong>-<strong>Journalismus</strong> wird hierzulande häufig als zweitklassiger <strong>Journalismus</strong><br />
angesehen. Zumeist sind die journalistischen Inhalte im Netz ja kostenlos erhältlich<br />
– „was nichts kostet ist auch nichts wert“, mag die geringe Wertschätzung<br />
und Bedeutung prägnant auf den Punkt bringen. Da ist es kein Wunder, dass<br />
<strong>Online</strong>-Journalisten, auch wenn sie mehr als Journalisten anderer Medien in<br />
Schichtdienste eingebunden sind, zumeist erheblich schlechter als die Kollegen<br />
anderer Mediengattungen bezahlt werden. <strong>Online</strong> ist in Medienhäusern häufig<br />
noch das fünfte Rad am Wagen. Als Außenstehender kann ich es leicht behaupten:<br />
es fehlt Verlegern, aber häufig auch Rundfunksendern der publizistische Mut<br />
und die notwendige Leidenschaft für das Netz um dort zu reüssieren. Freilich stellt<br />
sich ökonomischer Erfolg im Internet nicht von heute auf morgen ein, freilich gibt<br />
es noch nicht den Erfolgsweg und es sind immer noch einige Unabwägbarkeiten<br />
da, aber mutiges Vorpreschen, kreatives Experimentieren findet nur bei wenigen<br />
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