8834 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010(A)(B)Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)Dr. Diether Dehm ist <strong>der</strong> nächste Redner für die FraktionDie Linke.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Viel <strong>zu</strong> kurzfristig hat <strong>der</strong> Bundestag erfahren, dassmorgen auf dem Europäischen Rat ein Beschluss <strong>zu</strong>rÄn<strong>der</strong>ung des Vertrages über die Arbeitsweise <strong>der</strong> EuropäischenUnion AEUV gefasst werden soll. Das istganz sicher ein Vorhaben nach dem Zusammenarbeitsgesetz.Hier spreche ich Sie an, Herr Lammert, <strong>der</strong> Siesich, wie man hört, auch in Ihrer Partei oft beherzt fürdie Rechte nach diesem Zusammenarbeitsgesetz einsetzen.(Volker Kau<strong>der</strong> [CDU/CSU]: Das ist bei uns ganznormal und nichts Außergewöhnliches!)Darüber hätte die Bundesregierung den Bundestag rechtzeitiginformieren müssen,(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)und sie hätte dem Parlament rechtzeitig die Möglichkeit<strong>zu</strong>r vorherigen Stellungnahme geben müssen. Das hatsie nicht getan. Frau Bundeskanzlerin, damit haben Sieein weiteres Mal Ihre gesetzlichen und verfassungsmäßigenPflichten grob verletzt.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)Der Vertrag von Lissabon ist jetzt gerade einmal einJahr in Kraft. Alle Probleme <strong>der</strong> EU sollten damit gelöstwerden, und er sollte lange Zeit unverän<strong>der</strong>t bleiben.Das verkündeten die Bundesregierung, aber auch SPDund Grüne damals mit viel Pathos. Das alles ist jetztSchall und Rauch. Schon jetzt än<strong>der</strong>n Sie das Vertragsrechtradikal, indem Sie die Bail-out-Klausel außer Kraftsetzen.Die Ursachen für die Finanzkrise bleiben also unangetastet,<strong>zu</strong>m Beispiel dieser irrsinnige Art. 63 AEUV,wodurch jegliche Beschränkung des turbokapitalistischenFinanzverkehrs verboten wird. Der US-MilliardärWarren Buffett, den Sie ja oft wegen seiner Spenden loben,nannte diese Spekulationsgeschäfte Zitat finanzielleMassenvernichtungswaffen. Sagen wir es einmalklar: Die Profiteure von Hunger, Massenarbeitslosigkeit,Krieg und Finanzkrise lassen Sie unangetastet.schen Löhne entwickeln sich auch jetzt wie<strong>der</strong> nach unten und damit durch das Herabpressen <strong>der</strong> Kaufkraftcharakterisiert ist, schießt sich selbst ins Knie und produziertimmer mehr Zahlungsunfähigkeit in <strong>der</strong> EU.Frau Homburger und Herr Fricke, Herr Kubicki hatdie FDP ja mit <strong>der</strong> DDR im Zerfallsprozess verglichen.Ich kann Ihnen nur eines sagen: Soeben meldet n-tv, dieSüdwest-FDP for<strong>der</strong>e den Rücktritt von Westerwelle.Herr Westerwelle, ich weiß nicht, ob Sie das schon mitbekommenhaben.(Zurufe von <strong>der</strong> LINKEN: Er ist schon weg!) Der ist schon weg; das ist richtig. Einigen wir uns darauf.Eines jedenfalls ist klar: Wenn ich Sie höre, HerrFricke und Frau Homburger, dann kommt mir das tatsächlichvor wie weiland Erich Honecker mit einerkleinen Än<strong>der</strong>ung : Den Neoliberalismus in seinemLauf halten we<strong>der</strong> Ochs noch Esel auf.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)Wenn es mit dem Neoliberalismus in seinem Lauf abwärtsging, haben sich schon mancher Ochs und mancherEsel daran versucht, diese Fahrt abwärts ab<strong>zu</strong>bremsen.Der Neoliberalismus ist hoffnungslos verloren.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN Otto Fricke [FDP]:Ich sage nur: Überholen ohne ein<strong>zu</strong>holen!)Meine Damen und Herren, wir wollen mit unseremEntschließungsantrag ein transparentes Än<strong>der</strong>ungsverfahrendes Vertrags erreichen. Sie wollen ein sogenanntesvereinfachtes Verfahren, weil Sie die Öffentlichkeitscheuen wie <strong>der</strong> Vampir das Tageslicht.(Heiterkeit des Abg. Axel Schäfer [Bochum][SPD])Sie wollen heute eine vertragswidrige intransparente Ermächtigungfür einen sogenannten Stabilisierungsmechanismus<strong>zu</strong>r Fortset<strong>zu</strong>ng Ihrer EU-Politik für Ackermannund die Superreichen.(Otto Fricke [FDP]: Und Sie wollen über IhreZeit reden!)Wer Euro-Bonds jetzt so dogmatisch verweigert,treibt die EU auseinan<strong>der</strong>. Sie, Frau Merkel, sind eineAntieuropäerin par excellence.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)(D)(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)Ohne die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel,wie Sie von Gewerkschaften, Christen, Attac undden Linken gefor<strong>der</strong>t wird, zerreißen Sie die EU. Das istkeine Science-Fiction-Vision: Da brennende Autos inden Vorstädten von Paris und Athen, hier gut bewachtePaläste. Ihre EU bleibt die EU <strong>der</strong>er, die sich Parteispendenin Höhe <strong>der</strong> Allfinanz und <strong>der</strong> Familie Quandt leistenkönnen.Die aggressive deutsche Exportstrategie, die durchein immer weiteres Herabpressen <strong>der</strong> deutschen Lohnstückkosten die Lohnstückkosten und damit die deut-Präsident Dr. Norbert Lammert:Herr Kollege.Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):Ich komme <strong>zu</strong>m Schluss. Letztlich wird diese Krise<strong>zu</strong>r Verstaatlichung des gesamten Kreditsektors führen,nicht nur <strong>der</strong> Schrottbanken, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> DeutschenBank als Diktatorin deutscher Wirtschaftspolitikseit 1933; denn wenn Kredite das Blut <strong>der</strong> Wirtschaftsind, dann dürfen wir die Blutbank nicht mehr längerden Vampiren überlassen.(Beifall bei <strong>der</strong> LINKEN)
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 8835(A)Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)Michael Stübgen ist <strong>der</strong> nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.(Beifall bei <strong>der</strong> CDU/CSU)län<strong>der</strong>n und Euro-Län<strong>der</strong>n verhin<strong>der</strong>n <strong>zu</strong> können. Daraufmuss man hinweisen.(Beifall bei Abgeordneten <strong>der</strong> CDU/CSU und<strong>der</strong> FDP)(B)Michael Stübgen (CDU/CSU):Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich möchte am Schluss dieser Debatte versuchen,unsere Aufmerksamkeit noch einmal darauf <strong>zu</strong>lenken, was morgen beim Europäischen Rat <strong>zu</strong>r Entscheidungansteht. Es geht um Folgendes Herr Dehm,hören Sie genau <strong>zu</strong> : Der Rat strebt eine politische Einigungauf eine kleine Vertragsän<strong>der</strong>ung nach Art. 48 desVertrages über die Arbeitsweise <strong>der</strong> Europäischen Unionin Art. 136 AEUV, den Euro-Artikel, an. Der formelleBeschluss über die Vertragsän<strong>der</strong>ung soll im März nächstenJahres gefasst werden. Selbstverständlich werden wirdafür sorgen, dass <strong>der</strong> Bundestag im Vorfeld so wie esdas Integrationsverantwortungsgesetz vorschreibt dasEinvernehmen mit <strong>der</strong> Bundesregierung <strong>zu</strong> dieser Vertragsän<strong>der</strong>ungherstellt. Aber wir sind jetzt schon in <strong>der</strong>Lage, ziemlich genau über das, was geplant ist, <strong>zu</strong> diskutieren.Da will ich zwei Anmerkungen machen. Ich höre ständigdie Behauptung, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionenhätten in den letzten Monaten keinen klarenKurs darüber gehabt, was wir in Europa än<strong>der</strong>nmüssen. Ich will Sie daran erinnern: Nachdem wir imMai dieses Jahres sehr kurzfristig und sehr schnell deneuropäischen Rettungsschirm beschlossen haben, habenwir von Anfang an in aller Klarheit darauf hingewiesen,dass erstens dieser europäische Rettungsschirm nurein befristetes Notinstrument sein kann und dass zweitens wir darangehen müssen, im sekundärrechtlichenTeil des Vertrages den Stabilitätsvertrag deutlich <strong>zu</strong> verschärfen,deutlich <strong>zu</strong> verän<strong>der</strong>n. Aber wir haben auchvon Anfang an klargemacht, dass es notwendig sein wird,eine Vertragsän<strong>der</strong>ung an<strong>zu</strong>streben.Des Weiteren haben wir immer gesagt, dass es nichtausreichen wird, nur sekundärrechtliche Än<strong>der</strong>ungenvor<strong>zu</strong>nehmen, son<strong>der</strong>n um eine dauerhafte Einrichtungdes Stabilitätsmechanismus <strong>zu</strong> ermöglichen, <strong>der</strong> ausreichendvertraglich fixiert ist, und um dauerhaft in <strong>der</strong>Lage <strong>zu</strong> sein, notleidenden Staaten <strong>zu</strong> helfen, müssenwir auch eine Vertragsän<strong>der</strong>ung anstreben. Genau diesekleine Vertragsän<strong>der</strong>ung wird diskutiert.Die Euro-Gruppe und <strong>der</strong> letzte Ecofin-Rat haben sehrkonkrete Vorschläge gemacht, die in etwa auch morgen<strong>zu</strong>r Debatte und <strong>zu</strong>r Beschlussfassung vorliegen werden.Das führt da<strong>zu</strong>, dass wir <strong>zu</strong>m einen den Stabilitätsmechanismusdauerhaft sichern. Zum Zweiten wollen wir festlegen,dass bei Verlust <strong>der</strong> Schuldentragfähigkeit einesEuro-Mitgliedslandes ein geordnetes Umstrukturierungsverfahrenmit Einbeziehung <strong>der</strong> privaten Gläubiger ermöglichtund auch in den Zusatzverträgen vertraglichfestgelegt wird.Diese Vertragsän<strong>der</strong>ung wollen wir bis <strong>zu</strong>m Jahr 2012umsetzen. Wir sind dabei auf einem guten Weg. Vor wenigenWochen allerdings das muss ich ehrlich sagen sah es nicht so aus, als ob wir da<strong>zu</strong> in <strong>der</strong> Lage sein würden.Wirklich verwirrend und schwierig ist aber in <strong>der</strong> öffentlichenDiskussion <strong>zu</strong>rzeit die Tatsache, dass es eineunüberschaubare Vielzahl von mehr o<strong>der</strong> weniger durchdachtenVorschlägen gibt, wie man mit <strong>der</strong> Euro-Kriseumgehen könnte. Ich will nur auf zwei Tickermeldungenvon heute Morgen hinweisen. Reuters schreibt: Steinbrückund Steinmeier plädieren für Eurobonds. Zeitgleichschreibt die dapd, Steinmeier habe im ZDF-Morgenmagazingesagt, mit Euro-Bonds sei das Problem nicht <strong>zu</strong> lösen. Es scheint ja sehr gradlinig <strong>zu</strong> sein, was Sie wollen.(D)(Otto Fricke [FDP]: Sehr wahr!)Ich kann mich daran erinnern, dass viele Leute inganz Europa gesagt haben: Bloß keine Vertragsän<strong>der</strong>ung;das ist alles sehr kompliziert. Wir haben daranfestgehalten, dass es sein muss.Was ist seit Mai/Juni dieses Jahres passiert? Seit Septemberliegt <strong>der</strong> Vorschlag <strong>der</strong> Europäischen Kommission,das sogenannte Governance Package, vor, eine Anzahlvon Verordnungen und Richtlinien, die <strong>zu</strong> einernachhaltigen Verschärfung des Stabilitätspakts in Europaführen werden. Es gibt seit Oktober einen einstimmigenVorschlag <strong>der</strong> Task Force des Europäischen Rates, <strong>der</strong> ineinzelnen Teilen minimal an<strong>der</strong>s ist als <strong>der</strong> Vorschlag <strong>der</strong>Europäischen Kommission. Wir werden in <strong>der</strong> Lage sein,bis <strong>zu</strong>m Sommer des nächsten Jahres so ist <strong>der</strong> Zeitplandes Europäischen Parlaments, <strong>der</strong> Fachministerräte und<strong>der</strong> Europäischen Kommission diese sekundärrechtlicheÄn<strong>der</strong>ung durch<strong>zu</strong>setzen. Das ist ein Quantensprungin unserem Bemühen darum, in Zukunft ähnlicheSchwierigkeiten und Katastrophen auf den Finanzmärktenbzw. ähnliche Verschuldungssituationen in Mitglieds-(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie hätteneben <strong>zu</strong>hören müssen! Da habe ich es gesagt!)Wir haben heute von Herrn Steinmeier gehört, dass ersich für limitierte Euro-Bonds ausspricht. Haben Sie denVorschlag von Jean-Claude Juncker nicht gelesen? Daringeht es um limitierte Euro-Bonds. Also wollen Sie dieEuro-Bonds, wie Juncker sie vorschlägt. Des Weiterenfor<strong>der</strong>n Sie einen intelligenten Haircut. Haben Sie nichtgelesen, was die Euro-Finanzminister beschlossen haben?Das geplante Vorgehen bei Verlust <strong>der</strong> Schuldentragfähigkeiteines Landes sieht einen intelligenten Haircutvor. Was wollen Sie mehr? Sie könnten dann doch aber da<strong>zu</strong> werden Sie sich sicherlich nicht durchringenkönnen unseren Vorschlägen <strong>zu</strong>stimmen.Ich will noch kurz auf einen breit diskutierten Vorschlageingehen, den <strong>der</strong> Premierminister von Luxemburg,Jean-Claude Juncker, vor kurzem gemacht hat: die Einführung<strong>der</strong> sogenannten Euro-Bonds. Im Übrigen ist dieserVorschlag von Jean-Claude Juncker nahe<strong>zu</strong> identischmit dem Vorschlag des Brüsseler Instituts Bruegel.