8884 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010Caren Marks(A)(B)frühkindliche Bildung habe sie mittlerweile(C)als Themafür sich entdeckt. Aber ich frage mich, warum sie dannkein klares Nein <strong>zu</strong>m Betreuungsgeld sagt; denn eswürde falsche Anreize schaffen, indem es gerade denVerzicht auf die so wichtige frühkindliche Bildung för<strong>der</strong>t.Chancengleichheit würde dadurch verhin<strong>der</strong>t und<strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> frühkindlichen Infrastruktur konterkariert.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Frau Kollegin!Caren Marks (SPD):Ich bin sofort am Ende. Aktuelle Studien zeigen <strong>zu</strong>dem,dass ein Betreuungsgeld sogar verfassungsrechtlichbedenklich wäre.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Frau Kollegin!Caren Marks (SPD): geben Sie sich einen Ruck! Verabschieden Sie sichvom Betreuungsgeld! Investieren Sie in den Ausbau desAngebotes für die unter Dreijährigen und <strong>der</strong> Ganztagsschulen!Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Frau Kollegin!Caren Marks (SPD):Die Kleinsten in unserem Land haben mehr Anstrengungverdient.Ich bedanke mich bei Ihnen.(Beifall bei <strong>der</strong> SPD)Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Florian Hahn hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.(Beifall bei <strong>der</strong> CDU/CSU sowie bei Abgeordneten<strong>der</strong> FDP)Florian Hahn (CDU/CSU):Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!Frau Dr. Hein, wenn wir einmal nüchtern dieFakten <strong>zu</strong>r diesjährigen PISA-Studie betrachten, dannstellen wir fest, dass das von Ihnen gezeichnete pessimistischeZerrbild ganz schnell in sich <strong>zu</strong>sammenfällt.(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Sie müssen eseinfach nur lesen! Da steht alles drin!)Gott sei Dank ist die Zeit, als Sie für Bildung und Kulturin <strong>der</strong> SED-Bezirksleitung mitverantwortlich waren,vorbei.(Beifall bei <strong>der</strong> CDU/CSU <strong>Swen</strong> <strong>Schulz</strong>[Spandau] [SPD]: Glauben Sie, dass das einernsthaftes Argument ist, das die Bürger interessiert?) Ja. Hören Sie nur <strong>zu</strong>! Das interessiert die Bürger sehrwohl.(Zustimmung bei <strong>der</strong> CDU/CSU)Wenn selbst Andreas Schleicher, Mister PISA, <strong>der</strong>sich bekanntlich mit Kritik an unserem deutschen Bildungssystemnie <strong>zu</strong>rückgehalten hat, Deutschland diesmalRiesenfortschritte attestiert, können auch Sie dasnicht schlechtreden. Deshalb noch einmal, um es sichbesser <strong>zu</strong> merken:Fakt 1. Die Schülerinnen und Schüler in Deutschlandhaben in <strong>der</strong> jüngsten PISA-Studie bessere Ergebnisseerzielt als in den Studien <strong>zu</strong>vor.Fakt 2. Die Schülerinnen und Schüler haben in denTests eine deutlich bessere Lesefähigkeit als bisher attestiertbekommen. Der Leistungsabstand zwischen gutenund schwachen Lesern hat sich so stark wie in keineman<strong>der</strong>en OECD-Land verringert.(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das heißtdoch nur, dass die an<strong>der</strong>en noch schlechtersind!)Fakt 3. In den naturwissenschaftlichen Fächern rangierendie Leistungen unserer Schülerinnen und Schülerdeutlich über dem Durchschnitt.Fakt 4. Die PISA-Studie belegt <strong>zu</strong>dem, dass sich dieChancen für junge Menschen aus bildungsfernen Familienin Deutschland weiter verbessert haben.Auch ein Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit bestätigtdie Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems.Beim PISA-Spitzenreiter Finnland lag diese im Oktoberdieses Jahres bei den unter 25-Jährigen bei 20,9 Prozent,in Deutschland hingegen bei 8,5 Prozent. Damit sind wireinmal mehr ganz vorne in Europa. Es geht doch darum,dass wir junge Leute so gut ausbilden, dass sie späterauch einen entsprechend guten Job finden. Das muss unserZiel sein, nicht allein das Interpretieren von Statistiken.Diese geben uns nur einen Hinweis darauf, ob wirauf dem richtigen Weg sind.(Marianne Schie<strong>der</strong> [Schwandorf] [SPD]: Undwas ist mit den 10 Prozent, die die Schule ohneAbschluss verlassen?)Die Fakten zeigen, dass <strong>der</strong> Kurs stimmt, und sie sindgleichzeitig Motivation für die <strong>zu</strong>künftigen Aufgaben imBildungssektor.Bundesministerin Professor Annette Schavan und <strong>der</strong>Präsident <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz, Bayerns StaatsministerDr. Ludwig Spaenle, haben deutlich gemacht,dass die vor uns liegenden Herausfor<strong>der</strong>ungen im Bildungssystementschieden angegangen werden. Wir ruhenuns nicht aus; wir sind nicht selbst<strong>zu</strong>frieden, son<strong>der</strong>nwir wissen: Es gibt noch viel <strong>zu</strong> tun.Wir wollen daher die Kulturtechnik Lesen weiterstärken, um aus dem Mittelfeld <strong>der</strong> PISA-Studie weiteran die Spitze vor<strong>zu</strong>dringen. Lesen eröffnet in einer globalisiertenund vernetzten Welt das Tor <strong>zu</strong>r Gestaltungvon Gesellschaft und Wirtschaft. Hier werden wir weitermit bundesweit einheitlichen Bildungsstandards und einerbegleitenden Evaluation am Ball bleiben. Mit dem(D)
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 8885Florian Hahn(A)Konzept Lesestart Drei Meilensteine für (C) das Lesensind wir da auf dem richtigen Weg.Ferner müssen wir daran arbeiten, dass Jugendlicheaus Zuwan<strong>der</strong>erfamilien ihre Fähigkeiten voll einbringenund Sprachbarrieren abbauen können. Hier bescheinigtuns die vorliegende PISA-Studie im Übrigen wichtigeErfolge, auf denen wir konsequent aufbauenwerden, um diesen Kin<strong>der</strong>n mehr Chancen und Möglichkeiten<strong>zu</strong> eröffnen. Wir machen deutlich: Für uns ist dieFör<strong>der</strong>ung aller, sowohl <strong>der</strong> Leistungsstarken als auch<strong>der</strong> Leistungsschwachen, gleich bedeutsam.Entgegen den Vorschlägen von SPD, Linken und Grünengreifen wir nicht <strong>zu</strong> Vorschlägen aus <strong>der</strong> alten politischenMottenkiste und rufen nach <strong>der</strong> Einheitsschule,son<strong>der</strong>n wir bekennen uns klar <strong>zu</strong> einer zielorientiertenWeiterentwicklung des differenzierten Bildungssystems.Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um gar nicht erstein Missverständnis aufkommen <strong>zu</strong> lassen: Die Sozialdemokratiebzw. die linke Seite des Parlaments, wieSie uns gerne denunzieren, freut sich über die PISA-Ergebnisse;(Beifall bei <strong>der</strong> SPD)denn das ist eine Leistung von Lehrern, Schulträgern,Län<strong>der</strong>ministern und Bundesregierung. Und damit auchSchluss ist mit dem Werbeblock: An <strong>der</strong> Vereinbarung<strong>der</strong> Kultusminister waren Kultusminister aller Farbenbeteiligt, und in Be<strong>zu</strong>g auf die zehn Jahre gilt: FünfJahre hat Schrö<strong>der</strong> regiert und fünf Jahre Merkel. Wollenwir uns jetzt wechselseitig vorwerfen, dass in dieser Zeitin Sachen Bildung etwas geleistet worden ist? Nein. Wirtun das nicht, und Kollege <strong>Schulz</strong> hat es auch nicht getan.(B)(Beifall bei <strong>der</strong> CDU/CSU und <strong>der</strong> FDP Marianne Schie<strong>der</strong> [Schwandorf] [SPD]: Ohweh! O weh! Ist Schulsozialarbeit Mottenkiste?Das sagen Sie mal den Lehrern vor Ort!)So wollen wir das differenzierte Schulsystem weiter verbessernund individuelle För<strong>der</strong>ung ausbauen.(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das istBildungsverweigerung, was Sie hier vortragen!)Damit werden wir die Talente jedes jungen Menschennoch besser erkennen, um ihm eine gute Ausgangspositionfür einen erfolgreichen Start in das private und beruflicheLeben <strong>zu</strong> ermöglichen.Dass dieser Weg richtig ist, zeigen nicht <strong>zu</strong>letzt auchdie Ergebnisse des Bildungsvergleichs <strong>der</strong> deutschenLän<strong>der</strong> vom Sommer 2010. Während die ersten vierPlätze unionsregierte Län<strong>der</strong> belegen, bilden das dunkelroteBerlin und das rot-grün regierte Bremen dieSchlusslichter. Dieses Ergebnis, meine Damen und Herrenvon <strong>der</strong> Opposition, sollte Ihnen daher <strong>zu</strong>allererst <strong>zu</strong>denken geben. Entwickeln Sie erst einmal mit Ihren Kollegenin den Län<strong>der</strong>n tragfähige und chancenreiche Konzepte.(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Die gibtes schon!)Sorgen Sie endlich dafür, dass es den Kin<strong>der</strong>n dort bessergeht, wo Sie heute Verantwortung tragen. Das istmehr als überfällig.Herzlichen Dank.(Beifall bei <strong>der</strong> CDU/CSU und <strong>der</strong> FDP <strong>Swen</strong> <strong>Schulz</strong> [Spandau] [SPD]: Das haben Siedoch bei den PISA-Ergebnissen gesehen!)(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Nun ist esaber gut!) Er hat es absolut nicht getan, son<strong>der</strong>n Kollege <strong>Schulz</strong>hat rückgefragt, ob bei den guten Fortschritten, die unsbescheinigt werden, wir nicht gemeinsam sensibel aufdie noch vorhandenen Bedarfe schauen sollten, was unsdurch die PISA-Studie nahegelegt wird.Ich definiere diese Bedarfe noch einmal: Zum Erstengibt es für Kin<strong>der</strong> aus sozial schwierigeren Verhältnissennach wie vor eine soziale Diskriminierung durch einenerschwerten Zugang in Bildungslaufbahnen. Das darfuns nicht ruhen lassen, und das wird Sie genauso wenigruhen lassen. Zum Zweiten haben wir ein Problem inBe<strong>zu</strong>g auf eingewan<strong>der</strong>te o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>gewan<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> undJugendliche, bei denen wir Fortschritte erzielt haben,aber noch nicht so stark wie erwünscht und durchausnoch differenziert nach Herkunftsgruppen. Zum Drittenhaben wir, wie es mancher gesagt hat, ein Jungen-Mädchen-Problemin Be<strong>zu</strong>g auf spezielle Lesekompeten<strong>zu</strong>nd Zugänglichkeit, was für uns eine pädagogische Herausfor<strong>der</strong>ungsein muss. Wenn man das benennen kann,dann sollten wir daran auch gemeinsam arbeiten.Ich will das aufgreifen, was Kollege Rachel für dieBundesregierung an Alternativen vorgetragen hat; ichfand das übrigens sehr mager. Vielleicht ist es an uns, dieacht Punkte, die 2001 von <strong>der</strong> Kultusministerkonferenzmit Unterstüt<strong>zu</strong>ng <strong>der</strong> Bundesregierung erarbeitet wordensind, auf vier Punkte <strong>zu</strong> komprimieren.Ich fange bei <strong>der</strong> Sprache an. In Klammern sei gesagt:Zehn Jahre sind eine Bildungsbiografie. Die jetzt getesteten15-Jährigen waren damals 5 Jahre alt. Insoweit istdas eine Dekade, die genau den PISA-Zeitraum umfasst.Wir wissen noch nicht, wie die später gestarteten frühkindlichenFör<strong>der</strong>maßnahmen greifen. Wir haben dieHoffnung, dass sie <strong>zu</strong> Verbesserungen führen. Die Studiezeigt auf, dass es beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten in <strong>der</strong>kontinuierlichen Sprachför<strong>der</strong>ung gibt.(D)Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Ernst Dieter Rossmann hat jetzt das Wort für dieSPD-Fraktion.(Beifall bei <strong>der</strong> SPD)(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: So ist es!)In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n wird kontinuierliche Sprachför<strong>der</strong>ungauch noch in <strong>der</strong> Sekundarstufe I betrieben, und dasfachbezogen. Das ist etwas, Herr Rachel, liebe Kultus-