8866 Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt(A)(C)Wie erklärt <strong>der</strong> Bundesminister für Umwelt, Naturschut<strong>zu</strong>nd Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, die Diskrepanzzwischen ihm, <strong>der</strong> in seiner Rede auf <strong>der</strong> Klimaschutzkonferenzin Cancún davon sprach, dass <strong>der</strong> Klimaschutz inDeutschland in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft angekommensei und nicht als Bedrohung, son<strong>der</strong>n als Chance begriffenwerde, und seinem Kabinettskollegen Rainer Brü<strong>der</strong>le,<strong>der</strong> noch kürzlich in Einklang auch mit dem Bundesverband<strong>der</strong> Deutschen Industrie e. V. eine Pause beim Klimaschutzgefor<strong>der</strong>t hat und die vermeintlichen Risiken und nicht dieChancen von Klimaschutz betont, und hat sich die Meinungdes Kabinettskollegen Rainer Brü<strong>der</strong>le diesbezüglich mittlerweilegeän<strong>der</strong>t?Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Ich bitte darum, die <strong>Frage</strong>n 39 und 40 gemeinsam beantworten<strong>zu</strong> dürfen, da sie in einem thematischen Zusammenhangstehen.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Dann rufe ich auch die <strong>Frage</strong> 40 auf:Hat sich in diesem Zusammenhang die Position <strong>der</strong> Bundesregierungbezüglich einer unkonditionierten Erhöhung desEU-Reduktionszieles auf 30 Prozent geän<strong>der</strong>t?2030, minus 70 Prozent bis 2040 und minus 80 bis95 Prozent bis <strong>zu</strong>m Jahr 2050.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Herr Ott, Sie dürfen eine von maximal vier Nachfragenstellen.Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, FrauStaatssekretärin. Das war zwar eine äußerst wortreiche,dennoch nicht ganz <strong>zu</strong>friedenstellende Antwort. Es gehtin dieser <strong>Frage</strong> um die Unterschiede in <strong>der</strong> Bewertungdurch BMU und durch BMWi. Gibt es in Ihrem HauseErkenntnisse darüber, wie angesichts des europäischen20-Prozent-Ziels die Emissionsmin<strong>der</strong>ungen in den Sektorenaussehen müssten, die nicht vom Emissionshandelgedeckt sind? Diese 20 Prozent sind für die deutsche Industriefestgelegt. Wenn Deutschland das 40-Prozent-Ziel erreichen will, die vom europäischen Emissionshandelssystemerfassten Sektoren für immerhin fast dieHälfte <strong>der</strong> Emissionen verantwortlich aber nur20 Prozent erreichen müssen, dann muss in den an<strong>der</strong>enSektoren, <strong>zu</strong>m Beispiel beim Verkehr o<strong>der</strong> in den Haushalten,entsprechend mehr reduziert werden. Haben Siehier<strong>zu</strong> Berechnungen?(B)Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Veröffentlichung <strong>der</strong> Mitteilungen<strong>der</strong> EU-Kommission vom 26. Mai 2010 mit demTitel Analysis of options to move beyond 20 % greenhousegas emission reductions and assessing the risk ofcarbon leakage befasst sich die Bundesregierung mit<strong>der</strong> von <strong>der</strong> EU-Kommission vorgelegten Analyse. Daringeht es um die Sie bewegende <strong>Frage</strong> des unkonditionierten30-Prozent-Ziels.Die Bundesregierung hält es für nötig, dass sich <strong>der</strong>Rat und erfor<strong>der</strong>lichenfalls auch <strong>der</strong> Europäische RatAnfang 2011 wie<strong>der</strong> mit dieser <strong>Frage</strong> befassen werden.Diese Debatte sollte auch in den Kontext <strong>der</strong> gegebenenfallsbis dahin veröffentlichten Roadmap 2050 <strong>der</strong> EU-Kommission <strong>zu</strong>r Umsteuerung in eine kohlenstoffarmeWirtschaft innerhalb <strong>der</strong> Europäischen Union gestelltwerden. Deutschland steht hinter dem international vereinbartenZiel, dass die Industriestaaten ihre Treibhausgasemissionenbis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren,und bekräftigt sein Ziel, in Deutschland dieTreibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber1990 <strong>zu</strong> senken. Auf dieser Basis wird sichDeutschland an <strong>der</strong> weiteren Diskussion <strong>zu</strong>m EU-Klimaschutzzielbeteiligen.Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Nein, hierüber habe ich keine Kenntnis. Allerdingsweise ich nochmals darauf hin, dass wir das 40-Prozent-Ziel haben. Es gibt das Integrierte Energie- und Klimaprogramm<strong>der</strong> Bundesregierung, das umgesetzt wird, umdie 40 Prozent Emissionsreduktionen <strong>zu</strong> erreichen.Deutschland beteiligt sich an <strong>der</strong> europäischen Debatteauch vor dem Hintergrund seines eigenen 40-Prozent-Ziels. Wir werden Anfang nächsten Jahres sicherlicheine spannende Debatte in <strong>der</strong> Europäischen Union erleben.Meine, wie Sie es formuliert haben, ausführlicheAntwort deutet bereits an, dass wir in verschiedeneneuropäischen Gremien über diese Angelegenheit nochweiter beraten werden.Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ich möchte noch einmal nachfassen diese Angelegenheitist für Ihre Verhandlungen mit dem BMWi sehrwichtig : Welche Reduktionsleistungen müssen dieSektoren, die nicht vom Emissionshandelssystem ETSerfasst werden, in Deutschland erbringen, falls Deutschlandbei 40 Prozent bleibt, das europäische Ziel aber20 Prozent vorgibt?(D)Entsprechend <strong>der</strong> Koalitionsvereinbarung sollen jeweilsgegenüber 1990 bis 2020 die Treibhausgasemissionenum 40 Prozent und entsprechend <strong>der</strong> Zielformulierung<strong>der</strong> Industriestaaten bis 2050 um mindestens80 Prozent reduziert werden. Das entspricht nach <strong>der</strong> imEnergiekonzept <strong>der</strong> Bundesregierung beschlossenen klimaschutzpolitischenZielset<strong>zu</strong>ng folgendem Entwicklungspfadbei <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Treibhausgasemissionenbis 2050 das ist einmalig : minus 55 Prozent bisUrsula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Ich habe den Prozess, in dem wir uns <strong>der</strong>zeit befinden,bereits skizziert. Wir sind dabei, Daten, Grundlagenetc. <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>stellen, um diese in den europäischenProzess Anfang des kommenden Jahres einfließen <strong>zu</strong>lassen. Wir haben aus Cancún die <strong>zu</strong>sätzliche Verpflichtung<strong>zu</strong>r Einhaltung des 2-Grad-Ziels mitgebracht. Auch
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode 80. Sit<strong>zu</strong>ng. Berlin, Mittwoch, den 15. Dezember 2010 8867Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser(A)(B)dieses Thema müssen wir in entsprechende(C)Berechnungen,Vorstellungen und Debatten einbeziehen.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Herr Ott, haben Sie noch eine weitere Nachfrage?Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Ja. Vielleicht können Sie im Hause anregen, dasseine solche Untersuchung von Ihnen durchgeführt wird.Das könnte sehr überzeugend wirken.Nicht ganz <strong>zu</strong>fälligerweise ist das Wirtschaftsministeriumähnlicher Auffassung wie <strong>der</strong> BDI, <strong>der</strong> gerade nocheinmal davor gewarnt hat, dass Deutschland <strong>zu</strong> schnellvorprescht. Das wi<strong>der</strong>spricht ganz direkt den Vorstellungendes Ministers, <strong>der</strong> in Cancún noch einmal deutlichherausgestellt hat, wie wichtig die grüne neue industrielleRevolution für die Wirtschaft Deutschlands ist.Sind Sie mit dem BDI im Gespräch, um ihn von dem <strong>zu</strong>überzeugen, was Ihrer Ansicht nach die Meinung <strong>der</strong>Bundesregierung gemäß Koalitionsvertrag sein soll?Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:In Vorbereitung auf Ihre heutige <strong>Frage</strong> habe ich michnatürlich im Wirtschaftsministerium vergewissert, dasswir alle gemeinsam daran interessiert sind, eine gute Lösungfür den Klimaschutz <strong>zu</strong> finden. Ich bitte jetzt aberum Nachsicht, dass ich nicht für das Bundeswirtschaftsministeriumantworten kann, und danke Ihnen ganzherzlich für die gute Darstellung <strong>der</strong> Positionen des Bundesumweltministers.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Sie haben keine weitere <strong>Frage</strong>? Dann rufe ich denKollegen Miersch auf.Dr. Matthias Miersch (SPD):Frau Staatssekretärin, <strong>der</strong> Kollege Ott hat eben auf dieWi<strong>der</strong>sprüche innerhalb <strong>der</strong> Regierung hingewiesen. Wirwissen auch, dass hier im Parlament bei CDU/CSU undFDP sogenannte Klimaskeptiker sitzen sollen. Meine<strong>Frage</strong> <strong>zu</strong>m 30-Prozent-Ziel <strong>der</strong> Europäischen Union lautetdaher: Strebt das Bundesumweltministerium an, dassdas Kabinett die Kanzlerin mandatiert, unkonditioniertfür das 30-Prozent-Min<strong>der</strong>ungsziel auf <strong>der</strong> europäischenEbene ein<strong>zu</strong>treten?Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Wir befinden uns, Kollege Miersch, <strong>zu</strong>rzeit in intensivenGesprächen mit an<strong>der</strong>en Ressorts in Vorbereitungauf die europäische Debatte. Die Position des Umweltministersist Ihnen bekannt.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Herr Kollege Schwabe.Frank Schwabe (SPD):Geschätzte Staatssekretärin, wir waren mit einer Delegationdes Deutschen Bundestages in Cancún und habenden Umweltminister begleitet. Er hat von einem großenErfolg gesprochen. Seine Euphorie teile ich so nicht;aber es war sicherlich ein wichtiger Schritt. Ein Teil dieseswichtigen Schrittes ist, dass sich die Kioto-Staatendarauf verständigt haben, bis 2020 Reduktionsverpflichtungenin Höhe von 25 bis 40 Prozent, basierend aufdem Jahr 1990, ein<strong>zu</strong>gehen. Teilen Sie meine Position,dass vor diesem Hintergrund die BundesrepublikDeutschland und die Europäische Union keine an<strong>der</strong>eChance haben, sich auf ein Ziel jenseits <strong>der</strong> 25 Prozentfest<strong>zu</strong>legen?Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Dies wird die Debatte innerhalb <strong>der</strong> EuropäischenUnion in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Ichdenke, dass unser 40-Prozent-Ziel ein guter Ansatz fürdie Debatte in <strong>der</strong> Europäischen Union ist. Ich persönlichwünsche mir, dass an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> unserem Beispielfolgen werden.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Dann kommen wir <strong>zu</strong> <strong>Frage</strong> 41 des AbgeordnetenFrank Schwabe:Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen,damit die Europäische Union ihr Klimaschutzzielauf 30 Prozent Min<strong>der</strong>ung bis 2020 erhöht?Frau Staatssekretärin, <strong>zu</strong>r Antwort.Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beimBundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit:Wenn <strong>der</strong> Kollege Schwabe einverstanden ist, verweiseich auf meine Antworten auf die <strong>Frage</strong>n des KollegenOtt.Im Übrigen hält die Bundesregierung anspruchsvolleKlimaschutzziele für Industriestaaten und Schwellenlän<strong>der</strong>für erfor<strong>der</strong>lich, um dem globalen Klimawandelwirksam <strong>zu</strong> begegnen. In diesem Zusammenhangmöchte ich auf die ebenfalls im Energiekonzept <strong>der</strong> Bundesregierungenthaltenen Formulierungen <strong>zu</strong>m Klimaschutzsowie <strong>zu</strong>r Notwendigkeit <strong>der</strong> Umstrukturierung<strong>der</strong> Energieversorgung verweisen. Ich habe gerade bei<strong>der</strong> Beantwortung <strong>der</strong> <strong>Frage</strong>n des Kollegen Ott die Klimaschutzziele,die im Energiekonzept ausdrücklich genanntsind, aufgezählt.Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:Sie haben eine Nachfrage, Herr Schwabe.Frank Schwabe (SPD):Sie haben gerade ausgeführt, dass Sie sich wünschen,dass es in <strong>der</strong> Europäischen Union eine Zielverschärfunggibt. Danach habe ich aber gar nicht gefragt. Einer <strong>der</strong>zahlreichen Beschlüsse in Cancún sieht vor, dass sich dieKioto-Staaten verpflichten, sich im Rahmen einer(D)