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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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218 Bernd Jürgen Warneken<br />

stands zugunsten einer „Einfühlung in den Tauschwert", wie es<br />

Walter Benjamin nannte S8 .<br />

Nun kann es den Produktionsverhältnissen zweifellos auch in der<br />

Kulturindustrie nicht gelingen, die Produktivkräfte gänzlich oder<br />

gar dauerhaft in ein System totaler Manipulation einzubinden. Der<br />

gegenwärtige „jammervolle Übergangszustand" bedeutet gewiß<br />

mehr „als die Anpassung der Gesellschaft an den Aneignungstrieb<br />

der Kapitalisten 89 ". Dennoch wird das Vermögen einzelner, insbesondere<br />

technischer Mittel, sich „zum Teil bereits gegen die vorherrschenden<br />

Produktionsverhältnisse durch[zu]setzen 40 ", nicht selten<br />

überschätzt. Exemplarisch da<strong>für</strong> ist Hans Magnus Enzensbergers<br />

Aufsatz „Baukasten zu einer <strong>Theorie</strong> der Medien". Während Herbert<br />

Marcuse noch der Fetischismus vorgeworfen wird, von einer „kapitalistischen<br />

Technologie" zu reden, kreiert Enzensberger eine demokratische<br />

Technologie: im Unterschied zum „exklusiven Klassencharakter"<br />

von Buch und Tafelmalerei, so schreibt er, seien die elektronischen<br />

Medien „ihrer Struktur nach egalitär 41 ". Nur „Papierwände"<br />

stünden ihrer entsprechenden Verwendung entgegen, weshalb<br />

Enzensberger sich verwundert fragt, warum „Tonbandgeräte,<br />

Bild- und Schmalfilmkameras" im Besitz von Lohnabhängigen nicht<br />

„massenhaft" in gesellschaftlichen Konfliktsituationen benutzt würden<br />

42 . Eine solche Konzeption vernachlässigt, daß unter den Produktivkräften,<br />

welche ihre alte Verkehrsform sprengen, nicht bloß technische<br />

Apparaturen, sondern die Gesamtheit der subjektiven und<br />

gegenständlichen Faktoren des Arbeitsprozesses zu verstehen ist. Die<br />

wichtigste Produktivkraft ist dabei zweifellos die Denk- und Handlungsfähigkeit<br />

der Produzenten selbst. Es existiert kein vom Klassencharakter<br />

der Produktion zu trennender „Klassencharakter der<br />

Produktionsweise" (hier im Sinn von Produktionsmethode), der<br />

durch Mikrophon und Kamera als egalitären Medien aufgehoben<br />

wäre 48 ; angeeignet und genutzt vom Kapital, schlagen „alle Mittel<br />

der Entwicklung der Produktion [...]• um in Beherrschungs- und<br />

Exploitationsmittel des Produzenten [...] 44 ". Wie man materielle<br />

Produktivkräfte unproduktiv und destruktiv verwendet, so können<br />

auch die bereits als fortschrittlich erkennbaren Momente der Entwicklung<br />

auf dem Gebiet kultureller Produktion wenn schon nicht<br />

abgeschafft, so doch pervertiert und zur Stabilisierung eingesetzt<br />

werden. So meint z. B. Jürgen Harder in einer Kritik Enzensbergers<br />

zu Recht, daß die egalitären Aspekte der modernen Massenmedien<br />

der bürgerlichen Ideologie insofern sogar besser entsprechen können,<br />

als sie borniertes Klasseninteresse in der Form eines allgemeinen<br />

38 Walter Benjamin, Briefe Bd. 2, Ffm. 1966, S. 798 f.<br />

39 MEW Bd. 8, S. 544.<br />

40 Hans Magnus Enzensberger, Baukasten zu einer <strong>Theorie</strong> der Medien,<br />

Kursbuch 20, 1970, S. 163.<br />

41 a.a.O., S. 167.<br />

42 a.a.O., S. 170.<br />

43 a.a.O., S. 182.<br />

44 Marx, <strong>Das</strong> Kapital Bd. I, a.a.O., S. 674.

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