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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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230 Bernd Jürgen Warneken<br />

Da die geschichtliche Entwicklung sich nicht geradlinig vollzog, kann<br />

überdies eine vergangene Produktionsweise, etwa die der Sklavenhaltergesellschaft,<br />

in Einzelsphären Verhältnisse hervorbringen, die<br />

gegenüber dem Phänomen kapitalistischer Entfremdung als vorbildlich<br />

erscheinen müssen 81 . Was daraus hervorleuchtet, ist real bisher<br />

Uneingelöstes: „<strong>Das</strong> Licht des Unzerstörbaren an den großen Kunstwerken<br />

und philosophischen Texten ist weniger das Alte und vermeintliche<br />

Ewige, das selber der Zerstörung verschworen bleibt, als<br />

das der Zukunft 8 2 ."<br />

Solche utopischen Momente verdanken sich nun keineswegs einer<br />

„Trächtigkeit der Welt" oder „ontologischen Eschatologie": der in<br />

Kunstwerken enthaltene Vorschein, wie Ernst Bloch es nennt, ist<br />

nicht der eines „zusammenhaltenden Zieles" 83 , wie die spekulative<br />

Verdrehung es will, die die spätere Geschichte zum Zweck der früheren<br />

macht 84 . Nur wo die herrschende Produktionsweise real über<br />

sich hinausweist, kann Kunst und Literatur diese Bewegung wieder<br />

— wenn auch nur geistig — überholen; so kann auch eine Nation<br />

weiterentwickelte Uberbaumomente aus Nachbarländern nur dann<br />

übernehmen, wenn in ihr selbst die vom Nachbarn bereits vollzogene<br />

Entwicklung eingesetzt hat. Um konkret antizipieren zu können, hat<br />

Kunst „in den Schoß der Wirklichkeit vorzudringen, um dort die<br />

Elemente der neuen Gesellschaft <strong>für</strong> die Betrachtung schon freizulegen,<br />

die in der Wirklichkeit durch eine gesellschaftliche Aktion erst<br />

noch freigesetzt werden müssen 85 ". Beispiele da<strong>für</strong>, wie einzelne<br />

Überbaubereiche die Stellvertretung jener Dynamik, die in den materiellen<br />

Produktivkräften noch von veralteten Produktionsverhält-<br />

bestimmtem Kreise entwickelt war, die Bestimmungen der juristischen<br />

Person, eben des Individuums des Austauschs, entwickeln konnte, und so<br />

das Recht (nach den Grundbestimmungen hin) <strong>für</strong> die industrielle Gesellschaft<br />

antizipieren, vor allem aber dem Mittelalter gegenüber als das<br />

Recht der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft geltend gemacht werden<br />

mußte." Diese und die in Anm. 78 teilweise zitierte Passage beantworten<br />

die von Marx in der Einleitung zu den „Grundrissen" gestellte<br />

und — darauf verweist die bürgerliche Wissenschaft gerne — an dieser<br />

Steile nicht gelöste Frage, „wie die Produktionsverhältnisse als Rechtsverhältnisse<br />

in ungleiche Entwicklung treten". In der „Einleitung" hatte<br />

Marx dies Problem, „z. B. das Verhältnis des römischen Privatrechts [...]<br />

zur modernen Produktion" als den „eigentlich schwierigen Punkt" bezeichnet.<br />

Die Disproportion sei bezüglich der Kunst z. B. noch nicht so<br />

wichtig und schwierig zu fassen, als innerhalb praktisch-sozialer Verhältnisse<br />

selbst" (Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 29 f.). Cf. auch MEW Bd. 21,<br />

S. 397, und MEW Bd. 30, S. 607.<br />

81 Cf. z. B. Marx, Grundrisse, a.a.O., S. 80.<br />

82 Th. W. Adorno, Auferstehung der Kultur in Deutschland?, in: ders.,<br />

Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft, Frankfurt/M. 1971, S. 31.<br />

83 Ernst Bloch, Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Ffm. 1962,<br />

S. 512.<br />

84 Cf. Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, a.a.O., S. 45.<br />

85 Friedrich Tomberg, Mimesis der Praxis und abstrakte Kunst. Neuwied<br />

und Berlin 1968, S. 30.

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