Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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246 Gerhard Voigt<br />
heit emporarbeiten konnte. Die Kunst, heißt es, ist absolut geworden»."<br />
Gegen diese Loslösung, ist die Neue Sachlichkeit erst einmal<br />
als Widerstand aufzufassen. Ihr Festhalten am Bezug zur Realität<br />
hieße, daß sie tendenziell versucht, an der Existenz „einer in der<br />
Natur gegründeten Gesetzlichkeit und Vernünftigkeit und damit<br />
auch einer Naturgesetzlichkeit, die den Gang menschlicher Geschichte<br />
bestimmt" 10 , festzuhalten und ein Verhältnis zu dieser Wirklichkeit<br />
zu gewinnen unternimmt.<br />
Ein Blick auf eine Reihe von Bildern und die Lebensgeschichte<br />
ihrer Maler lehrt, daß der Versuch der bloßen Widergabe des Realen<br />
außerordentlich widersprüchliche Züge trägt. Solche Malerei kann<br />
ebenso den Kapitalismus entlarven wie die heile Welt einer reaktionären<br />
Utopie beschwören; oder aber, und das kennzeichnet die überwiegende<br />
Zahl neusachlicher Arbeiten, sie ist die unbegriffene Wiederholung<br />
des Vorgefundenen. Die Tendenz in diesem Jahrhundert,<br />
den Realismus selbst von dem Versuch der Erfassung der gesellschaftlichen<br />
Realität zu reinigen, hat Friedrich Tomberg in der Fortführung<br />
des obigen Zitats so umrissen: „<strong>Das</strong> sinnlich Wirkliche hat<br />
selbst da, wo es noch in die Gestaltung hineingenommen wird, die<br />
Verbindlichkeit eines der Kunst Vorgegebenen, sie Übergreifenden<br />
verloren 11 ."<br />
Wieland Schmied lehnt den „mitunter" 12 erhobenen Vorwurf ab,<br />
die Neue Sachlichkeit habe sich „zur offiziellen Nazikunst denaturieren<br />
lassen oder . . . in gewisser Hinsicht wenigstens die Fundamente<br />
<strong>für</strong> diese . . . Pinselei . . . abgegeben" (69). Dazu dient die Behauptung,<br />
„mit dem Jahr 1933 [sei] . . . das Ende der Neuen Sachlichkeit"<br />
gekommen (ebd.), und als Beweis führt er an, daß einige Maler als<br />
entartet erklärt worden sind; den anderen „blieb nur der Weg in die<br />
innere Emigration. Ihn sind die meisten gegangen" (ebd.). Ungeachtet,<br />
wie fragwürdig die Rolle der inneren Emigration war, blieben doch<br />
einige Maler, die „relativ ungehindert weiterarbeiten konnten" (ebd.).<br />
Schmied nennt jGrossberg, Kanoldt und Schrimpf als die Bekanntesten.<br />
Wenn Schmied eine „innere Beziehung" zum Nationalsozialismus<br />
auch allenfalls „nur auf Umwegen, in Nebensächlichkeiten" (70)<br />
zu sehen vermag, so läßt sich doch nicht leugnen, daß gerade zwei<br />
der wichtigsten Landschafter der Neuen Sachlichkeit <strong>für</strong> die Schollen-<br />
und Blut-und-Boden-Malerei zumindest verträglich waren.<br />
Alexander Kanoldt „schloß einen ,reinigenden' Pakt mit den Nationalsozialisten,<br />
die ihn in die <strong>Berliner</strong> Kunstakademie beriefen" 18 ,<br />
und Georg Schrimpf wurde im Jahr 1933 vom Kultusminister an die<br />
9 Tomberg, Friedrich: Kunst und Gesellschaft heute, in: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong><br />
64, S. 184.<br />
10 Tomberg, ebd.<br />
11 Tomberg, ebd.<br />
12 Vgl. Schmied, S. 69. — Franz Roh deutet diesen Zusammenhang in<br />
seiner „Geschichte der deutschen Künst von 1900 bis zur Gegenwart",<br />
München 1958, S. 113, an.<br />
13 Roh, Geschichte, S. 116.