Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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370 Besprechungen<br />
lensprache", „Übernahme sprachlicher Rollen", „Sprachidentität",<br />
„Schichtsprache"), oder aber sie versuchen, linguistische Begriffe soziologisch<br />
zu funktionalisieren. Dazu ein Beispiel: Die definitorische<br />
Bestimmung des Interaktionsbegriffs erfolgt auf der „Ebene der<br />
funktionalen Grundrequisiten des menschlichen Handelns (Kompetenz)<br />
und der Fähigkeit zur Aktualisierungn dieses Handelns (Performanz)"<br />
(113). In dieser Formulierung wird die <strong>für</strong> die generative<br />
Grammatik Chomsky's konstitutive Unterscheidung von Kompetenz<br />
und Performanz <strong>für</strong> die Beschreibung spezifisch sozialen<br />
Handelns verwendet; die Autoren sprechen in dieser Dimension von<br />
„sozialer Kompetenz" und „sozialer Performanz" (109 ff.). „Dieser<br />
Begriff der sozialen Kompetenz basiert auf der Überlegung, daß<br />
jedes soziale Element (jedes Individuum) eine bestimmte Fähigkeit<br />
zur Ausbildung von konkretem sozialen Handeln besitzt. Diese<br />
Fähigkeit zum sozialen Handeln entspräche etwa der Fähigkeit eines<br />
Sprechers, Sätze einer Sprache zu bilden. Dieser Ansatz könnte dahin<br />
ausgeweitet werden, daß man grundsätzlich das soziale Handeln als<br />
Sprachakt betrachtet und die nichtsprachlichen Typen des sozialen<br />
Handelns als Subkategorien neu definiert" (111). Hier zeigt sich —<br />
allerdings in unreflektierter Verkürzung des Chomsky'schen Kompetenzbegriffs<br />
— die analogische Struktur der Begriffsbildung. Zwar<br />
kann durchaus zugestanden werden, daß in beiden Fällen, Sprechen<br />
und Handeln, nach Fähigkeit und Anwendung unterschieden werden<br />
kann; auch in der rollentheoretischen Soziologie wurde bisher sowohl<br />
bei Parsons als auch in der symbolinteraktionistischen Schule<br />
davon ausgegangen, daß die im Sozialisationsprozeß erworbenen<br />
Grundqualifikationen des Rollenhandelns vom konkreten Rollenspiel<br />
in der Interaktionssituation zu unterscheiden sind. Ebenso kann<br />
gezeigt werden, daß das Modell des kompetenten Sprechers, der frei<br />
von äußeren Störungen spricht, dem Parsons'schen Postulat einer<br />
gleichgewichtigen Komplementarität sozialer Rollen durchaus vergleichbar<br />
ist, insofern auch hier die individuelle Abweichung auf<br />
äußere Störfaktoren zurückgeführt wird. Trotz dieser naheliegenden<br />
Parallelen muß jedoch darauf bestanden werden, daß eine solche<br />
revidierte Verwendung des Kompetenzbegriffs <strong>für</strong> eine <strong>Theorie</strong> der<br />
Soziolinguistik nur dann gerechtfertigt ist, wenn sich dieser auch<br />
soziologisch gegenüber dem der Grundqualifikationen des Rollenhandelns<br />
als überlegen erweist. Sofern dies aber nicht geleistet ist,<br />
bleibt solche Begriffsbildung auf die bloße Kombination der verfügbaren<br />
soziologischen und linguistischen Kategorien angewiesen und<br />
kann daher allenfalls heuristisch begründet werden.<br />
Auch der weiterführende Vorschlag, soziales Handeln generell als<br />
„Sprachakt" (?) zu begreifen und nichtsprachliche Typen des sozialen<br />
Handelns als „Subkategorien" zu definieren, belegt die schon<br />
von Oevermann beobachtete Tendenz, spezifisch soziale Prozesse in<br />
linguistischen Termini zu beschreiben bzw. das Prestige linguistischer<br />
Begriffe in der Soziologie einzuklagen. Darüber hinaus schlagen die<br />
Autoren sogar vor, „konkrete Gesellschaften nach dem Ausmaß ihrer<br />
Sprachlichkeit zu beschreiben" (139 f.), und erliegen so vollends dem