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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sachlichkeit und Industrie 249<br />

sollen, fast gänzlich fehlen, daß die Hausfassaden nicht durch diese<br />

„Folklore der Großstadt" (ebd.) belebt werden, sondern die „leeren<br />

Flächen" eigens und ausschließlich <strong>für</strong> die Reklame gebaut scheinen.<br />

Trotzdem vermag sich Schmied eines bestimmten Eindrucks, den<br />

diese Bilder hervorrufen, nicht zu entziehen. „Es ist letztlich der<br />

Blick des kleinen Mannes, der sich den Phänomenen der modernen<br />

Welt ausgesetzt sieht, die er nicht geschaffen hat, die er nicht beherrscht<br />

und die er nicht zu deuten vermag." „Nicht der Mensch<br />

beherrscht hier . . . die Technik, er wird von ihr beherrscht" (27).<br />

Wenn diese Beobachtung auch bei Schmied ohne Folgen bleibt, so<br />

lohnt es doch, sie festzuhalten. Sie läßt schließen, daß das veristische<br />

Unbeteiligtsein nicht so hermetisch von der gesellschaftlichen Realität<br />

abschließt, daß nicht doch der alte Anspruch realistischer Kunst<br />

auf die Durchschaubarkeit der Welt und vernunftgemäße Beherrschung<br />

der Gesellschaft aufschiene. Wer — wie Hoerle und Seiwert<br />

— Arbeiter als aus vorgefertigten Maschinenteilen konstruiert, die<br />

Umwelt, Städte und Industrie als fremd und unmenschlichen Gesetzen<br />

unterworfen malt, kann noch provozieren, daß nach diesen<br />

Gesetzen gefragt wird; wer auch nur mitleidig Arbeiterkinder<br />

hohlwangig und mit überproportionierten Händen malt, nimmt <strong>für</strong><br />

sie Partei und fordert andere zu einer gleichen Haltung auf. Es ist<br />

klar, daß solche „gemalte Entfremdung" die Unterdrückung zwar<br />

darstellt, sich aber nicht mit den Unterdrückten identifiziert, die<br />

gegen etwas Partei ergreift, ohne sich noch <strong>für</strong> etwas zu erklären 20 ,<br />

keine Position von Dauer sein kann; von dort aus gibt es auf lange<br />

Sicht nur den Rückschritt in die gesellschaftslose Idylle oder den<br />

Fortschritt zum bewußt parteilichen Realismus. Insofern hätte eine<br />

Eingrenzung der Bezeichnung „Neue Sachlichkeit" auf diesen Schwebezustand<br />

ein gewisses Recht. Diese Problematik war aber schon der<br />

Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO) bewußt, die<br />

sich von der pseudo-objektiven Kälte der Neuen Sachlichkeit zu<br />

lösen versuchte, ohne dabei aber die veristische Schärfe einzubüßen,<br />

um so zu einem neuen proletarisch-revolutionären Realismus zu gelangen.<br />

Einer von ihnen, Hans Grundig, schrieb rückblickend treffend:<br />

„<strong>Das</strong> ist unser allgemeiner Feind, die Welt in Ausschnitte zu<br />

zerlegen, die noch dazu Abziehbilder des Wirklichen sind, sie zu entkleiden<br />

von ihren tieferen Zusammenhängen 21 ." Dieses Vorgehen<br />

aber ist es gerade, was nach Schmied die Größe der Neuen Sachlichkeit<br />

ausmacht, und es ist nur zu verständlich, warum er die Wege<br />

ihrer Weiterentwicklung nicht wahrhaben will.<br />

Zwei Punkte bleiben festzuhalten. Einmal wohnt der Neuen Sachlichkeit<br />

als einer realistischen Kunst eine Tendenz zur Auseinandersetzung<br />

mit gesellschaftlichen Fragen, wenn auch oft noch so verkappt,<br />

inne; zum anderen scheint es, daß aus dieser Position zwei<br />

Entwicklungen entspringen konnten: eine Weiterführung zur aktiven<br />

20 Vgl. Hütt, S. 206; ihm folgt hier die <strong>Argument</strong>ation. _ '<br />

21 Grundig, 1962, zit. nach Schmied, S. 250.

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