Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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278 Michael Neriich<br />
gen" des Nationalsozialismus gefeit waren und sind. Ein solches Mysterium<br />
wird nicht zuletzt durch eine romanistische Sprachwissenschaft<br />
zerstört, die gerade in jenen Jahren nichts unversucht ließ,<br />
weiland verlorene Gebiete per Orts-, Einwohner-, Feld-, Wald- und<br />
Flurnamensforschung oder germanisch-romanischen Wortproporz<br />
heim ins Gotenreich zu holen. Wie stolz man auf ähnliche Unternehmungen<br />
im Gebiet der Literaturwissenschaft war, zeigt der vom<br />
deutschen Tiefsinn berauschte Fritz Neubert in seinem Forschungsbericht<br />
Von der Praeromantik bis zur Gegenwart, in dem er freudig<br />
notiert: „die heute aktueller denn je gewordene Frage der Beziehungen<br />
und des Verhältnisses der französischen Literatur zum<br />
deutschen Geist" sei zum „Brennpunkt des Interesses" geworden®.<br />
In der Tat erfüllte eine nationale Begeisterung <strong>für</strong> Autoren vom<br />
Schlage Gobineaus oder Maurras' die Herzen der deutschen Romanisten,<br />
die von Neubert bis Hugo Friedrich mit Vorliebe bei Carl<br />
Schmitt die geistige Nahrung holten.<br />
Der Boden <strong>für</strong> diese Entwicklung war freilich schon von langer<br />
Hand vorbereitet worden: es wäre nicht nur notwendig und an der<br />
Zeit, die deutsche Romanistik im Dritten Reich einer eingehenden<br />
Analyse zu unterziehen, sondern darüber hinaus auch wichtig, die<br />
Entwicklung der Romanistik seit dem Jahr 1871 als einen Teilbereich<br />
der deutschen imperialistischen Ideologie zu enthüllen 6 .<br />
Nichts schien in all den Jahren von 1871 bis zum Zusammenbruch<br />
des Nazi-Reiches großen Teilen der Forschung, die sich mit dem<br />
westlichen Nachbarn beschäftigte, wichtiger zu sein als der Nachweis,<br />
daß fast alles, was dieser an kulturellen Werten hervorgebracht<br />
hatte, „germanischen Geistes" oder aber diesem unterlegen sei 7 :<br />
immerhin ist bereits vor dem Ersten Weltkrieg eine der bekanntesten<br />
deutschen Witzfiguren in Frankreich, der Professor Knatschke aus<br />
Königsberg, ein — Romanist! 8<br />
5 Deutsche Vierteljahresschrift <strong>für</strong> Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte,<br />
XVI, 1938, Heft 4, 531—578, 545.<br />
6 Daß mit dieser notwendigen Enthüllung in der DDR begonnen wurde,<br />
hat nichts Uberraschendes : cf. Victor Klemperer, <strong>Das</strong> neue Frankreichbild<br />
(1914—1933). Ein historischer Überblick, Beiträge zur romanischen Philologie,<br />
1961, 17—61; 1962, Heft 2, 70—115.<br />
7 Im Verlag Eugen Diederichs in Jena erschien 1907 ein Spitzenprodukt<br />
dieser „Wissenschaft": Ludwig Woltmann, Die Germanen in Frankreich.<br />
Woltmann gelang es noch, Montaigne der germanischen Rasse zuzuschlagen;<br />
verschiedene Romanisten im Dritten Reich wußten es später besser:<br />
Montaigne war „Halbjude".<br />
8 Cf. „Hansi", Professor Knatschké. Oeuvres choisies du grand Savant<br />
allemand et de sa fille Elsa, Paris 1912, 19: „Parmi tous les savants qui<br />
ont traité, ces temps derniers, la question de la lutte culturale Germano-<br />
Française, le Professeur Knatschké — Koenigsberg occupe une place<br />
prépondérante. Ses études sur Paris, sur la question de la culture intellectuelle<br />
en Alsace, etc. approfondies avec tant de science, une clairvoyance<br />
si avertie et le mâle courage Germanique ont fait, à juste titre, sensation<br />
en Alsace. Les Alsaciens sont fiers du grand intérêt que prend en eux<br />
le célèbre Savant Allemand qui, comme ü le dit lui-même: .était, depuis