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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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296 Michael Neriich<br />

Denn: „Obwohl nach 1933 die staatliche Tendenz dahin ging",<br />

schreibt er wie über eine vergangene Idylle, „die literarischen Importe<br />

aus den kommunistischen [sie] und, wie man damals sagte,<br />

plutokratischen Ländern abzudrosseln, wurde in Deutschland der<br />

dreißiger Jahre Jean Giono einer der überhaupt am meisten gelesenen<br />

Autoren; Henry de Montherlant erschien mit Übersetzungen in<br />

der führenden Literaturzeitschrift <strong>Das</strong> Innere Reich, und seine hohe<br />

schriftstellerische Qualität machte uns seine unsentimentale, männliche<br />

[!] Haltung nur um so geheurer, etwa gegenüber der Rußland-<br />

Begeisterung von Romain Rolland, die damals keine, auch keine<br />

künstlerischen Grenzen mehr kannte 89 ." Kein Wunder daher, daß<br />

Wais den Namen Aragon nur in der Formulierung „der Parteikommunist<br />

Aragon" 90 über die Lippen bekommt: „Ein guter Stern<br />

lenkte ihn so", schreibt er über Arno Holz in gedanklichem und<br />

sprachlichem Galimathias, „daß er aus seiner Anwendung der marxistischen<br />

Lehre vom Werkzeug, das den Menschen mache, auf ein<br />

nicht unwesentliches Nachsinnen über den Prosarhythmus der deutschen<br />

Sprache geriet 91 ." Dieser „gute Stern" fehlte der französischen<br />

Literatur, in der Kurt Wais „Freiluft-Erzähler" wie (u. a.) Rudyard<br />

Kipling, Knut Hamsun oder den Erzähler der isländischen Saga vermißt<br />

92 . Aber die französische Literatur hat es ohnehin nicht leicht,<br />

wenn sie es „dem" Deutschen recht machen will, denn obwohl „die"<br />

Deutschen (bei modernen Autoren) oft ein „erhebliches Maß an neophytischer<br />

Eilfertigkeit, an Modernitätswahn und beflissener Xenophilie"<br />

93 an den Tag legen, so spürt „der" Deutsche bei Rabelais<br />

(auch als der noch modern war) „ein Erschrecken vor der leidenschaftlich<br />

gefühlskargen Härte und Kraßheit dieses Realismus ... 9 4 ."<br />

Was „der" Franzose, aber auch „der" Russe oder „der" Tscheche<br />

oder „der" Holländer angesichts der „gefühlskargen Härte" der<br />

deutschen KZs gedacht haben mag, hat selbstverständlich mit Literaturwissenschaft<br />

nichts zu tun. Sie kann sich daher immer noch auf<br />

den Nazi-Literaten Erwin Guido Kolbenheyer, eine der übelsten<br />

Erscheinungen der Reichsschrifttumskammer (von Oskar Loerke das<br />

„tückische aufgeblasene breiige Nichts" genannt), als wissenschaftlich-philosophische<br />

Autorität berufen 85 .<br />

12. Im Westen nichts Neues<br />

Leo Spitzers Warnung vor dem „Toxin" der Geisteswissenschaften<br />

98 verhallte in der BRD und in Westberlin ohne Echo und Wirkung:<br />

zusammen mit fast allen anderen Emigranten und Verjagten<br />

89 Ib. 107—108.<br />

90 Ib. 323.<br />

91 Ib. 226.<br />

92 Ib. 109.<br />

93 Ib. 116.<br />

94 Ib. 110.<br />

95 Ib. 217. Cf. J. Wulf, Literatur und Dichtung, 1. c., 92—94; 34.<br />

96 Cf. W. Krauss, Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag, in:<br />

Studien und Aufsätze, Berlin 1959, 20—21.

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