Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Philosophie 355<br />
der eigentliche Grund <strong>für</strong> die Fehlerhaftigkeit von Völkers Literaturtheorie<br />
und <strong>für</strong> die Wahl seines methodologischen Ausgangspunktes.<br />
Sozialistischer Realismus bezieht immer schon, entgegen<br />
dem, was Völker über ihn mutmaßt, die „Wirklichkeit der Zukunft"<br />
(M. Gorki) mit ein in die Darstellung der Realität, weil sie eben in<br />
dieser Realität schon angelegt ist, um diese so in ihrer Widersprüchlichkeit<br />
begreiflich zu machen und Ansatzpunkte <strong>für</strong> ihre revolutionäre<br />
Veränderung aufzuweisen. So fällt Literatur auch nicht mehr in<br />
Dokumentation, Aufforderung und Erwartung auseinander, sondern<br />
die Tendenz springt „aus Situation und Handlung selbst" hervor,<br />
„ohne daß ausdrücklich darauf hingewiesen wird" (MEW Bd. 36,<br />
S. 394). Eine Literatur jedoch, die lediglich dazu auffordert, hic et<br />
nunc mit der Bedürfnisbefriedigung, die der .Stand der Produktivkräfte<br />
objektiv erlaubt, neu anzufangen, statt zu zeigen, wie eine<br />
Gesellschaft erkämpft werden kann, deren Ziel die Bedürfnisbefriedigung<br />
ist, schafft, wenn sie überhaupt etwas schafft, Ladendiebe<br />
und Hippies statt Revolutionäre. <strong>Das</strong> verkennt Völker, wenn er dem<br />
Ganzen das ganz andere, eben die wenn auch als gesellschaftlich<br />
produziert anerkannten Bedürfnisse abstrakt gegenüberstellt und<br />
dann revolutionäre Praxis erwartet, erwartet fast in des Wortes<br />
theologischer Bedeutung. Karl-Heinz Götze (Marburg/L.)<br />
Kreuzer, Helmut (Hrsg.): G e s t a l t u n g s g e s c h i c h t e u n d G e -<br />
sellschaftsgeschichte. Literatur-, kunst- und musikwissenschaftliche<br />
Studien. Metzlersche Verlagsbuchhandlung,<br />
Stuttgart 1969 (624 S., Ln., 65,— DM).<br />
Den Anspruch, Kunst unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten zu<br />
analysieren, erhebt die Germanistik schon lange. Vietor stellte schon<br />
die Forderung nach einer soziologisch orientierten Analyse der Lyrik<br />
des 17. Jahrhunderts auf, ohne daß auf diesem Gebiet bis heute<br />
Besonderes zu verzeichnen wäre. Gleichsam einen neuen müden Anlauf,<br />
die Trennung zwischen ästhetischer und politischer Sphäre im<br />
Bereich der <strong>Theorie</strong> zu überwinden, unternimmt als Vertreter der<br />
approbierten Germanistik Helmut Kreuzer. Die Anthologie, die er zu<br />
diesem Zweck vorlegt, ist ein Produkt schnurriger Verlagspolitik,<br />
das mehr über das Verhältnis von Germanistik und Gesellschaft als<br />
über die Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft aussagt.<br />
Themen wie „War Reinmar ,von Hagenau' Hofsänger in Wien?" werden<br />
hier gleichermaßen abgehandelt wie „Büchners Spätrezeption"<br />
oder „Die neue Musik und das Problem der musikalischen Gattungen".<br />
Nichts fügt sich recht zum anderen. Es gibt den gemeinsamen<br />
Gesichtspunkt, den der Titel „Gesellschaftsgeschichte und Gestaltungsgeschichte"<br />
beschwört und unter dem diese Aufsätze zu lesen<br />
wären, nicht. Sinnvoll wäre es vielleicht noch gewesen, so verschiedene<br />
Fragen wie die zur Soziologie des Dichters, zum gesellschaftlichen<br />
Inhalt von Kunst und ihres politischen Einflusses auf das<br />
Publikum in einer Anthologie abzuhandeln, wenn der historische