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Das Argument 72 - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Abriß einer Analyse literarischer Produktion 225<br />

sein müssen, die durch Didaktik und Know how nicht ersetzt werden<br />

können.<br />

Die komplementäre Beschränkung bürgerlicher Literaturproduktion<br />

ist die der Reflexion auf die gesellschaftlichen Zwecke des Produkts;<br />

die sich ausbreitende, vordergründig eingegrenzte Wirkungsforschung<br />

ist davon nur die Parodie. Emphatische Beherrschung der<br />

literarischen Produktivkräfte schließt das Prüfen der langfristigen<br />

Ziele, die Literatur mitbefördern soll, ebenso ein wie die Kenntnis<br />

dessen, welchen Part Literatur in der Bewegung auf diese Ziele zu<br />

spielt und spielen könnte. Daß die Arbeit zweckmäßige, bewußte<br />

Tätigkeit auch im weiteren Sinn, nämlich innerhalb eines gesellschaftlichen<br />

Gesamtplans werde, wird unter kapitalistischen Verhältnissen<br />

verhindert; daß die Produzenten auch nur weiterreichende<br />

gesellschaftliche Folgen ihrer Produktion innerhalb dieser Verhältnisse<br />

in die Konstitution ihres Arbeitszwecks aufnehmen könnten,<br />

wird dort gehemmt, wo ihnen die Verfügung über die Produktionsmittel<br />

und damit über die Produkte entzogen ist. Zu diesen Schranken<br />

kommt, vor allem in den geistigen Produktionszweigen, der ideologische<br />

Effekt der kapitalistischen Arbeitsteilung, welche die Tätigkeiten<br />

der einzelnen Gesellschaftsmitglieder und damit die Gesellschaftsbereiche<br />

an der Oberfläche voneinander isoliert und den<br />

Schein der Autonomie und selbstmächtigen Wirkung insbesondere<br />

auch literarischer Äußerung hervorbringt. Diese Einbildung zu zerstören<br />

bedeutet aber, das Sonderinteresse, das dieser Organisation<br />

der sozialen Beziehungen zugrunde liegt, hinter sich gelassen zu<br />

haben; wieweit dies gelingt, hängt von der Entwicklung der sozialen<br />

Widersprüche und ihrer am ehesten durch die eigne Klassenlage<br />

vermittelten Erfahrbarkeit ab.<br />

Allerdings ist es in begrenztem Umfang möglich, daß sich ein<br />

bestimmter gesellschaftlicher Gehalt des Werks auch gegen das<br />

falsche Bewußtsein des Autors durchsetzt. Positiv wie negativ zählt<br />

nur, was sich im Produkt objektiviert hat; und die Absicht, etwa<br />

eine solipsistische Weltanschauung in einer literarischen Handlung<br />

zu vergegenständlichen, wird schwerlich zu verwirklichen sein, ohne<br />

daß der Solipsismus dabei ad absurdum geführt wird. Wie die Mitglieder<br />

der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer ökonomischen Tätigkeit,<br />

ihre eignen Ziele verfolgend, damit ungewollte Zwecke erreichen<br />

— nämlich außer ökonomischen Krisen letztlich die Möglichkeit<br />

der Aufhebung der ihren Zielen zugrunde liegenden Gesellschaftsverfassung<br />

überhaupt —, so wenig kann ein Autor es hindern, daß<br />

sein Produkt ihm zuwiderlaufende Bedeutungen offenbart. Er gleicht<br />

dann dem Arzt, der es abstritt, krank zu sein, aber, schon umnachtet,<br />

seinen eignen Puls fühlte und konstatierte: „Der Kranke liegt im<br />

Sterben, ich habe hier nichts mehr zu tun." Ein solcher „Sieg des<br />

Realismus" über die Ideologie des Autors wird nicht bloß von der<br />

Eigendynamik der literarischen Arbeitsmittel bewirkt; er kann sich<br />

meist auf Widersprüche in der Arbeitskraft des Autors selber stützen:<br />

man denke an Divergenzen zwischen bewußter Weltanschauung,<br />

psychologischer Prädisposition und Stand der praktisch-künstleri-

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