Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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Die Sprache<br />
Soll er frieren, soll er kochen,<br />
Soll sich krümmen, winden, wirnmern;<br />
Achzen, krächzen, <strong>und</strong> verkümmern,<br />
Darf sein Schiff gleich mit zertrümmern;<br />
Roll ich's doch im rvilden Meer<br />
Her <strong>und</strong> hin <strong>und</strong> hin <strong>und</strong> her.<br />
Was wir in der gesamten Macbeth-Bearbeitung vergeblich<br />
gesucht, freistömenden, urigebrochenen Ausdruck,<br />
hier im phantastischen Reiche der Hexen hat Btirger<br />
ihn zu gestalten vermocht. In immer neu venvandelten<br />
Farben <strong>und</strong> Gefühlen1) bewegt sich die Sprache. Damit<br />
steht Bürger Shakespeare nah <strong>und</strong> fern zugleich. Bei<br />
Shakespeare ist auch in diesen Hexenszenen alles herb,<br />
dicht, gegenständlich. Selbst der Gesang erhäit unter<br />
seinen Händen dramatischen Fortgang. Bürger setzt Shakespeare<br />
um ins Lyrisch-Musikalische seines eigenen Ausdrucks,<br />
<strong>und</strong> tönend schwillt seine Sprache in alle Breiten.<br />
Wir berühren damit das eigentliche schöpferische Prinzip<br />
jener Zeit: es ist nicht das Schaffen von \\fulten, von raumtiefen<br />
Bildern; Tiefe <strong>des</strong> Gemüts, der Seele kennzeichnet die<br />
Zeit <strong>und</strong> in musikalischer Variation wirkt sich das aus2).<br />
Schon im Prosateil der Bearbeitung zeigen sich hierzu die<br />
Ansätze. Ich rnöchte nur erinnertt an die von Bürger neugeprägten<br />
Schlußworte <strong>des</strong> sterbenden Macbeth:<br />
B. V/VIII. Meine Seele wadtet in Blut! In Blute der<br />
Unschuldigen!-Der Strom schwillt, - schwillt - hebt<br />
mich enrpor. Ich kann mich nicht ntehr halten. - Seufzer<br />
<strong>und</strong> Flüche brausen mir nach, rvie Stürme - sie treiben -<br />
-sie wälzen - miclt wälzen die Wogen hinunter -<br />
l) Man beachte die charakteristische Häufung der Verben.<br />
2) Die herangezogene Macbethbearbeitung kann allerdings<br />
davon nur einen ganz matten Begriff geben.<br />
Bürger 59<br />
hinunter - hinunter zieht mich die Hölle. Oh! *<br />
verlohren bin ich! Auf ewig verlohren! - Oh! -<br />
In den Hexenszenen nahrn Bürger in jeder Zeile zu<br />
solcher Gestaltungsart Gelegenheit. Man denke nur an das<br />
Wie <strong>und</strong> wo <strong>und</strong> wann sie wehen,<br />
Sausen, brausen, Wirbel drehen . . .<br />
Doch das dünkte Bürger noch nicht genug: er legt eine<br />
neue Hexenszene ein <strong>und</strong> hier feiert gerade solche Art musikalischer<br />
Variation letzte Triumphe. In einem großen Chorgesang<br />
mit Tanz wird hier in drei Solopartien immer nur<br />
das eine nicht eben geschmackvolle, aber vielleicht gut<br />
hexenmäßige Thema variiert:<br />
Lust an Unlust das ist Lust,<br />
Kraut <strong>und</strong> kitzelt mir die Brust. -<br />
Wir stehen am Ende unseres Weges. Die geistige Struktur<br />
cler Sturrn- <strong>und</strong> Drang-Zeit hat sich uns dargestellt<br />
als unausgeglichene Überlagerung zweier Schichten, einer<br />
unbewegten <strong>und</strong> einer bewegten, einer rationalistisch-abstrakten<br />
<strong>und</strong> einer irrational-sentimentalen. Eine harmonische<br />
Durchdringung der gegensätzlichen Strebungen werden<br />
wir auch abschließend nicht festzustellen haben. Erst die<br />
Klassik hat diesen Ausgleich geschaffen. Aber eins will doch<br />
deutlich werden: daß schließlich jenseits aller vordergründigen<br />
Gegensätzlichkeit beide Schichten in einem tiefen<br />
<strong>und</strong> wesentlichen Verhältnis gegenseitiger Ergänzung sich<br />
befinden. Empfindsamkeit war der Trumpf der Zeit, auf<br />
Cefühl ward alles b'ezogen <strong>und</strong> in Gefühl <strong>und</strong> seinen Ausdruck<br />
alles verwandelt. Aber die Allmacht <strong>des</strong> Gefühls hat<br />
eine Voraussetzung: Der rationale Gedanke muß ihr<br />
vorausgehen <strong>und</strong> er muß sie begleiten. Nicht allein bedeutet<br />
er in solcher tönenden <strong>und</strong> fließenden Welt die letzte geistige<br />
Verankerung <strong>des</strong> Substantiellen <strong>und</strong> Gegenständ-<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv