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Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

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Komposition<br />

Komposition<br />

l8l<br />

sische Dramatik <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts ersetzt sie durch die<br />

Notwendigkeit der Entfaltung. Was dort Klarheit, Ordnung,<br />

Stetigkeit der starren Anschauung, wird hier Klarheit,<br />

Ordnung, Stetigkeit <strong>des</strong> Verlaufes. Und in diesern Sinne<br />

möchte man abschließend das Gegeneinander von deutscher<br />

<strong>und</strong> italienischer Klassik bestimmen: Der südliche Mensch,<br />

weil er in seinem tiefsten Wesen schon ein klassisch ge'<br />

schlossener <strong>und</strong> in sich ruhender ist, gestaltet eine klassische<br />

Welt in isolierten Erscheinungen <strong>und</strong> setzt die Allgemeingültigkeit<br />

seiner Maße <strong>und</strong> Formen \/oraus. Es gibt<br />

nichts Bezeichnenderes für die italienische ftenaissance,<br />

als daß sie in ihrer Kunst den Menschen zu lvlaß <strong>und</strong> Mitte<br />

alles Seins erhebt, ohne die Maßstäbe der Gotik zerbrochen,<br />

ohne die transzendental gerichtete Gemeinschaft der Kirche<br />

gesprengt zu haben. Der deutsche Mensch aber, weil zutiefst<br />

verschlungen in die Gesamtheit aller Natur <strong>und</strong> alles<br />

Geschehens, muß erst die Welt als Ganzes <strong>und</strong> in all ihren<br />

Dimensionen mit zeitlosen Werten umgrenzen <strong>und</strong> mit<br />

Notwendigkeit <strong>und</strong> Klarheit durchdringen, ehe er sich selbst<br />

als ruhende Form in ihr vollenden kann.<br />

Die italienische Renaissance hatte ihre Auflösung gef<strong>und</strong>en<br />

im Barock, die Klassik <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts findet<br />

sie in der Romantik. Der Barock enthüllt den inneren<br />

Bruch zwischen der ruhenden Form <strong>und</strong> dem unendlich<br />

vorwärtsstürmenden <strong>Leben</strong>, er enthüllt auch die stofflichen<br />

Züge alles Anschaulichen <strong>und</strong> Körperlichen, damit <strong>des</strong>sen<br />

individuelle Bedingtheit <strong>und</strong> zeitliche Vergänglichkeit. So<br />

erwacht im barocken Menschen die Sehnsucht nach dent<br />

Geiste als dem lmmergültigen <strong>und</strong> Ewigbleibenden, als<br />

dem Gesetzgetragenen <strong>und</strong> Gesetzerhaltenden, <strong>und</strong> langsam<br />

findet er den Weg hinüber zu den selbstsicheren Formen<br />

rationalistischer Weltgesinnung. Die Romantik andererseits<br />

wird durch den unstofflichen <strong>und</strong> ideellen Charakter<br />

klassischer Bitdungswelt <strong>des</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>erts verführt,<br />

an die Geistigkeit alles Daseins <strong>und</strong> an die Scheinhaftigkeit<br />

aller klassischen Anschauung von Gliederung <strong>und</strong><br />

Umgrenzung<br />

glauben. Aus solcher Erkenntnis entquillt<br />

ihr das Verlangen, hinabzutauchen hinter solchen Schein<br />

in die alleine <strong>und</strong> allurnfassende Tiefe. Im letzten Gr<strong>und</strong>e<br />

bedeutet das die Flucht <strong>des</strong> Geistes vor sich selber. Er<br />

möchte seinen eigenen Maßen <strong>und</strong> Ordnungen entrinnen,<br />

er möchte aus seiner Schöpfung, in die er sich verstrickt,<br />

wieder zu sich selber finden. So führt die Romantik<br />

schließlich zur Selbstzersetzung <strong>des</strong> Geistes wie zur Auflösung<br />

seiner Bildungswelt, <strong>und</strong> sie endet dort, wo der<br />

Barock begonnen, mit der Entdeckung einer stoffgetragenen<br />

ungeistigen Realität. Im Schoße der Romantik wohnt der<br />

Materialismus <strong>des</strong> werdenden Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

Als höherer geistiger Organismus wurde Shakespeares<br />

künstlerische Welt von der Romantik neu erfaßt <strong>und</strong> verkündet.<br />

Organischatte schon die Klassik die Welt gesehen<br />

<strong>und</strong> als organische Einheit hat sie auch je<strong>des</strong> Kunstwerk<br />

betrachtet. Aber organischatte für sie noch einen<br />

anderen Sinn. Noch bedeutet es nicht die Negation alles<br />

Mechanischen <strong>und</strong> Gesetzgeb<strong>und</strong>enen um eines unendlich<br />

schöpferisch sich entfaltenden <strong>Leben</strong>s willen. Organisch ist<br />

vielmehr für den klassischen Menschen eben das, was wie<br />

aus freiem Antrieb nach Gesetzen sich entfaltet. Shakespeares<br />

künstlerische Welt konnte vor solchem l\laßstabe<br />

nur immer beschränkte Geltung haben. Sie mußte, um vor<br />

klassischent Auge bestehen zu können, - <strong>und</strong> wir haben<br />

das an dem einen Beispiel von Schillers Macbethbearbeitung<br />

ja bereits gesehen - die verschiedenartigsten Veränderungen<br />

iiber sich ergehen lassen. Solches Recht, Shakespeares<br />

<strong>Werk</strong>e zu entstellen, aber leugnete die Romantik. Sie hatte<br />

erkannt, wie in ihnen alles von einer Mitte beseelt, von<br />

einem Atem durchbebt ist, so daß kein Zug verändert<br />

werden kann, ohne das Ganze zu treffen. Aus solchem<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

G.A. Bürger-Archiv

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