Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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30<br />
Die Sprache<br />
Doroflrea Tieck<br />
l3t<br />
Shakespeares Satz ist steigend bis zum letzten Augenblick.<br />
Hier möchter Ende <strong>und</strong> Grenze sein, eine vollendete<br />
Schöpfung. Aber in der Zeit ist er geworden, die Bewegung<br />
lebt weiter <strong>und</strong> reißt fort zu neuenr Anfang <strong>und</strong><br />
neuer Schöpfung. So ist Shakespeares Satzgefüge ein Aufsteigen,<br />
ein gewaltsames Abreißen <strong>und</strong> Wiedereinsetzen<br />
der Bewegung. Jeder Satzteil möchte sich sondern <strong>und</strong><br />
individuell verdichten. Die romantische Sprache der Tieck<br />
kennt solche kühnen Brüche nicht, sie bewegt sich fort<br />
in kontinuierlichen Schwingungen. An seinem Ende ist<br />
der romantische Satz offen, ein melancholisches Ablösen<br />
<strong>und</strong> Vertönen.<br />
Sh. III/1123. After life's fitful fever he sleeps well;<br />
T. Sanft schläft er nach <strong>des</strong> <strong>Leben</strong>s<br />
-Fieberscnauern.<br />
sh. L<br />
What I believe. I'll wail.<br />
What know believe; and what I can redress,<br />
As I shall find the tirne to friend, I lvill.<br />
Das, was ich glaube,<br />
will ich betrauern; glauben was Ihr sagt,<br />
Undhelfen will ich, wo ich kann, wenn Zeit<br />
Und Fre<strong>und</strong> ich finde.<br />
Das erste Beispiel zeigt den bis zum letzten Augenblick<br />
steigenden Weg von Shakespeares Satz. Im zweiten<br />
beachte man das stete Abreißen <strong>und</strong> Wiederbeginnen der<br />
Bewegung. Die Tiecksche Fassung dagegen ist steigend bis<br />
,,betrauern", in ,,glauben" liegt der Höhepunkt <strong>des</strong> ganzen<br />
Weges uncl rrtru fällt der Oedankc langsam <strong>und</strong> verklingend<br />
abwärts.<br />
Diese Urnkehrbarkeit der sprachlichen Bewegttng, die<br />
ohne Spannung erlaubt, das Prädikat so gLrt an den Anfang<br />
wie ans Ende zu setzen, <strong>und</strong> zwar in eincr Sprache, die<br />
kein zeitloses Gefüge, in der vielmehr der Gedanke, wie<br />
bei Shakespeare, erst mit seinem Ausdruck langsam werdend<br />
<strong>und</strong> wachsend ist, deutet auf die Ablösung <strong>des</strong> romantischen<br />
<strong>Leben</strong>sgefühls von aller räumlichen Gesetzlichkeit.<br />
Shakespeares Sprache muß, über alle individuelle Auflehnung<br />
<strong>und</strong> Brechung hinweg, immer die eine durch die<br />
gegenständliche Ordnung der Dinge erzwungene Richtung<br />
durchlaufen. Der romantische Mensch kennt solche Bindung<br />
nicht. Damit wird die Tiecksche Sprache aber auch<br />
unfähig zu jeder anschaulichen Geste, die nur in der Durchbrechung<br />
einer widerstandskräftigen sprachlichen Gesetzlichkeit<br />
bestehen könnte 1). Ich greife ein ganz einfaches<br />
Beispiel heraus:<br />
Sh. I I/l I I 48. Our knocking has awaked him; here he comes.<br />
T. I I/ I I. Geweckt hat unser Klopfen ihn, hier kommt er.<br />
Wenn Shakespeare sagt: "here he comes", so bedeutet<br />
das "here" eine sichtbare Geste: Die Zeit steht darin stiil.<br />
Denn die für Shakespeare schicksalhafte Richtungedanklicher<br />
Entfaltung, die sich im Folgenden gleich wieder herstellt<br />
(beachte: "he comes", nicht ,kommt er') wird hier an<br />
einer Stelle gewaltsam unterbrochen. Wenn dagegen Tieck<br />
sagt: ,,hier kommt er", so liegt wohl auf dem hier der<br />
stärkste Ausdruck, doch wohnt darin nichts von jener<br />
Plastik Shakespeares. Es bleibt alles eingebettet in dic<br />
Zeit <strong>und</strong> ihren ungestauten elvigfließenden Gans.<br />
Ein anderes Beispiel:<br />
Sh. I/VI.<br />
All our service<br />
In every point twice done, and then done cloublc,<br />
Were poor and single business to contend<br />
l) Es gilt das wohl fi.ir die deutsche Sprache überhaupt,<br />
<strong>und</strong> das bezeugt, wie sehr das Romantisch-Musikalische in der<br />
deutschen Stilgeschichte als ganzes verwurzelt ist.<br />
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G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv