Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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Die Sprache<br />
hatte über der raumstofflichen Tiefe gleichsanl eine neue<br />
Fläche, den ruhenden Spiegel <strong>des</strong> rationalen Gedankens geschaffen,<br />
in dem sich die Welt formt geordnet <strong>und</strong> begrenzt.<br />
Und Schillers Fassung erwächst in Hinsicht <strong>des</strong> Raumeso<br />
gut wie bezüglich der Zeit aus Eschenburgs Abstraktion.<br />
Freilich, dem Rationalisten projizierte sich die Welt noch<br />
als Punkt <strong>und</strong> Linie, als Begriff <strong>und</strong> Beziehung. Die Klassik<br />
schreitet über solche Abstraktheit hinaus. Sie will nicht um<br />
die Dinge wissen, sie will sie wieder sehen <strong>und</strong> gestalten. Sie<br />
erstrebt von neuem Anschauung, Plastik. Sie sucht den<br />
Raum als den Wohnort schaubarer Körper. Aber es ist das<br />
nicht der Raum Shakespeares, der Raum der Individualitäten,<br />
der tausendfachen Farben, Brechungen, Verwandlungen,<br />
der unabhängigen Körper <strong>und</strong> Bewegungen, der<br />
unbegrenzten stofflichen Fülle. Das Raumbild klassischer<br />
Dichtung wächst nicht aus dem unendlichen Stoffe der<br />
Welt, es wölbt sich, ruhend auf rationalistischer Abstraktion,<br />
rum eine Welt in begrifflicher Entstofflichung, Typisierung,<br />
Gliederung <strong>und</strong> Verknüpfung. Es ist ein idealisierter Raum,<br />
ein Raum nicht der individuellen Körper, es ist ein Raum<br />
der Symbole, in dem alle Dinge nur erscheinen, soweit sie<br />
wesenhaft, gesetzhaft, dauernd sind. Von dem Problem<br />
der Sprache her hat Wilhelm von Humboldt diesen klassischen<br />
Stilwillen, denselben verallgemeinernd auf Sprachkunst<br />
überhaupt, wie folgt formuliert: ,,Die Poesie ist die<br />
Kunst durch Sprache. In dieser kurzen Beschreibung liegt<br />
für denjenigen, welcher den vollen Sinn dieser beidenWörter<br />
faßt, ihre ganze hohe <strong>und</strong> unbegreifliche Natur. Sie soll den<br />
Widerspruch, worin die Kunst, welche nur in der Einbildungskraft<br />
lebt <strong>und</strong> nichts als Individuen will, mit der<br />
Sprache steht, die bloß für den Verstand da ist, <strong>und</strong> alles<br />
in allgemeine Begriffe verwandelt, - diesen Widerspruch<br />
soll sie nicht etwa lösen, s0 daß nichts an die Stelle trete,<br />
sondern vereinigen, daß aus beiden etwas werde, was mehr<br />
Schiller 85<br />
sei, als je<strong>des</strong> einzelne für sich warl)".-Wenn Schiller Shakespeares<br />
Bilder in seinem Sinne übersetzt, so bedeutet diese<br />
Übersetzung immer auch eine Unrsetzung einer maßlosbewegten,<br />
chaotischen, stofflich - erfüllten <strong>und</strong> triebhaftbeherrschten<br />
Welt in die klaren, maßvollen, geordneten,<br />
aber auch fernen <strong>und</strong> durchsichtigen Linien seiner idealen<br />
Welt. Es ist das eine Welt, die nicht mit groben Händen<br />
betastet, nicht mit sinnlichem Auge geschaut werden kann.<br />
Der stofflichen Nähe Shakespeares gegenüber wirkt sie daher<br />
farblos <strong>und</strong> scheinhaft.<br />
Beispielemögen das Gesagte verdeutlichen:<br />
sh. r rrlr 92.<br />
Ay, in the catalogue ye go for men;<br />
As ho<strong>und</strong>s and greyho<strong>und</strong>s, mongrels, spaniels,<br />
curs.<br />
Shoughs, water-rugs, and den:i-wolves, are clept<br />
All by the name of dogs: the valued file<br />
Distinguishes the swift, the slow, tlte subtle,<br />
The housekeeper, the hunter, every one<br />
According to the gift which bounteous naturc<br />
Hath in him closed.<br />
Sch. I I I/lV. Ja, ja, ilir lauft so auf der Liste mit!<br />
Wie Dachs <strong>und</strong> Windspiel alle H<strong>und</strong>e heißen;<br />
Die eigne Rasse aber unterscheidet<br />
Den schlauen Spürer, den getreuen Wächter,<br />
Den flüchtgen Jäger. So auch mit den Menschen.<br />
Wo Shakespeare hingreift, er reißt eine Unendlichkeit<br />
vor sich auf, rvenn er einen Weg beginnt, er weiß nicht,<br />
wo er ihn enden wird. Seine Welt ist eine unendlich offene,<br />
eine stofflich <strong>und</strong> geistig unerschöpfliche. Wie anders bei<br />
Schiller: er braucht nicht die sanze Fiille <strong>des</strong> Individuellen,<br />
1) Asthetische Versuche über Goethes Hermann <strong>und</strong> Dorothea.<br />
Braunschweig 1882, S, 44.<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv