06.11.2013 Aufrufe

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Geschichte <strong>und</strong> Gegenwart<br />

Sein <strong>und</strong> Denken, von logischem Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> kausaler Ursache,<br />

wie sie der Welt- <strong>und</strong> Geschichtsbetrachtung <strong>des</strong> Rationalismus<br />

zugr<strong>und</strong>e lag, wie sie nach der Katastrophe der<br />

Romantik im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert mit veränderten Akzenten<br />

wieder auferstanden ist, wo, was kausal begründet, auch<br />

vernünftig <strong>und</strong> notwendig war, - ist aufgegeben. Und wenn<br />

nunmehr moderne Geschichtsauffassung, die <strong>Leben</strong>sfremdheit<br />

logischer <strong>und</strong> kausaler Ableitungen <strong>und</strong> Gliederungen<br />

erkennend, zu großen rhythmisch wiederkehrenden Gr<strong>und</strong>formen<br />

als den Ordnungswerten der Geschichte sich hinkehrt,<br />

wenn sie, statt lückenlose kausale Ketten herzustellen,<br />

nrit Neuanfängen arbeitet, die allein aus dem Gesamtrhythrnus<br />

der Geschichte ihre Notwendigkeit erlangen,<br />

so ist hier die rnusikalische, aus dem innerlichsten Zeit- <strong>und</strong><br />

Schicksalserlebnis <strong>des</strong> Menschen schöpfende Wurzel unverkennbar.<br />

Aber es fehlt in solcher Auffassung die romantische<br />

Verherrlichung der Zeit als der raumlösenden, körpervertilgenden<br />

Kra{t. Geschichtsgestaltung bedeutet heute<br />

zutiefst ein Ringen um Überwindung der Geschichte, um die<br />

Wiedergewinnung einer gegenwartsfrohen selbstsicheren Daseinsform.<br />

Man treibt nicht mehr Geschichte aus der Hingabe<br />

an alles Entschw<strong>und</strong>ene, der Liebe zu allem Seltenen,<br />

Seltsamen <strong>und</strong> Verstaubten, aus der Freude am Samnteln<br />

gleicherweise der bedeutungslosesten <strong>und</strong> bedeutungsvollsten<br />

Daten. Nicht die Geschichte als solche in der<br />

Tausendfältigkeit <strong>des</strong> Materiales, das von der Zeit einmal<br />

an den Strand geschleudert <strong>und</strong> dann wieder verschlungen<br />

wurde, interessiert, sondern ihre ewige Form, ihre in aller<br />

Zeit gültige Struktur, oder um es in der Terminologie<br />

moderner Geschichtsbetrachtung auszudrücken, ihr auf<br />

Gr<strong>und</strong>begriffe festzulegender Charakter.<br />

Heinrich Wölfflin hat mit seinerr kunstgescltichtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>begriffen moderner Geschichtsbetrachtung in<br />

bedeutsamster Weise den Gr<strong>und</strong> gelegt. Fritz Strich<br />

Ceschichte <strong>und</strong> Gegenwart<br />

übernahm es für die Geschichte der Dichtung Analoges zu<br />

versuchent). Es wäre in<strong>des</strong> verfehlt, Strichs Betrachtungsart<br />

ohne weiteres mit der Wölfflins zu identifizieren. Dazu<br />

stehen sich beide als zu scharf <strong>und</strong> eigenartig ausgeprägte<br />

Charaktere gegenüber. Die Kunstgeschichte im Sinne<br />

Wölfflins ist ein periodisches Neuauftauchen einer einfachen,<br />

klaren, geordneten, kurzum klassischen Formensprache<br />

<strong>und</strong> deren Weiterentwicklung ins Komplizierte <strong>und</strong><br />

Malerische, also Barocke hinüber. ,,Der Fortgang von der<br />

handgreiflichen plastischen Auffassung zu einer rein optischmalerischen<br />

hinüber, hat eine natürliche Logik <strong>und</strong> könnte<br />

nicht urngekehrt werden"z). Dabei gliedert Wölfflin diesen<br />

Fortgang im einzelnen<br />

einem anschaulichen Schema von<br />

fünf Gr<strong>und</strong>begriffspaaren. Er unterscheidet die Entwicklung<br />

vom Linearen zum Malerischen (,,die Begreifung der<br />

Körper nach ihrem tastbaren Charakter - in Umriß <strong>und</strong><br />

Flächen - einerseits <strong>und</strong> andrerseits eine Auffassung, die<br />

dem bloßen optischen Schein sich zu überlassen imstande<br />

ist"), die Entwicklung vom Flächenhaften zum Tiefenhaften<br />

(,,die klassische Kunst bringt die Teile eines Formganzen<br />

zu flächiger Schichtung, die barocke betont das<br />

Hintereinander"), die Entwicklung von der geschlossenen<br />

zur offenen Form (vom Tektonischen zum Atektonischen),<br />

die Entwicklung vom Vielheitlichen zum Einheitlichen (,,in<br />

beiden Stilen handelt es sich um eine Einheit, allein das eine<br />

Mal ist die Einheit erreicht durch eine Harmonie freier Teile,<br />

das andere Mal durch ein Zusammenziehen der Glieder zu<br />

einem Motiv oder clurch Unterordnung der übrigen Elel)<br />

Fr. Strich, Deutsche Klassik <strong>und</strong> Romantik. München<br />

1s22.<br />

2) Dieses wie alle folgenden Zitate dieses ersten Kapitels sind<br />

der Einleitung zu Wölfflins Kunstgeschichflichen Cr<strong>und</strong>_<br />

begriffen (München l9l?) entnommen.<br />

lx<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

G.A. Bürger-Archiv

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!