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Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

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136 Rlrythmus<br />

Rhythmus<br />

137<br />

Wendungen, selbst manchen Bildeln <strong>und</strong> Empfinduugeu<br />

denZugangöffnet, die in der Prosa nicht wohl Statt gef<strong>und</strong>en<br />

Irätten"l). Mit solcher Denkungsart in übereinstimmung<br />

steht der Charakter von Eschenburgs Sprache. Cerade<br />

deren logisch nüchterner Mechanismus,<br />

den ich hier<br />

zurückerinnern möchte, macht restlos deutlich, daß trotz<br />

aller Kenntnis der Forrnel <strong>des</strong> Shakespearemetrums durclr<br />

Eschenburg nie der zeit- <strong>und</strong> schicksalsschwangere Rhythtuus<br />

Shakespeares hätte nachgeschaffen u'erden könnerr,<br />

höchstens eine Borck nicht allzuferne rationale Spielfornr.<br />

(Vgl. Eschenburgs lnetrische Bearbeitung der Hexenszenerr<br />

in Macbeth <strong>und</strong> der Tragödie Richard I I I.)<br />

Der Sturm <strong>und</strong> Drang ist die erste deutschc Epoche, die<br />

Shakespeare als Zeit, Rhythmus, Bewegung inr lebendigen<br />

Flusse seiner Dramen zu erfassen verrnag. Trotzderrr sind<br />

die Stürnrer, von einigen Anläufen <strong>und</strong> Versuchen abgesehen,<br />

die rhythmische Übertragung Shakespearcs schuldig<br />

geblieben. Woran licgt das ? Die Beantwortung dieser<br />

Frage hängt in nranchern mit dem allgemeineren Problenr<br />

zusammen: warunr ist die spezifische Form <strong>des</strong> Sturnr- uud<br />

Drangdramas keine rhythmische, sondern eine prosaische?<br />

Entwicklungsgeschichtlich betrachtct, bedeutet die Prosa<br />

im Drama jener Tage eine Auflehnuu gegen die {alsclre<br />

Größe <strong>und</strong> Würde der klassizistischen Tragödie unr der<br />

Natur, um der Wahrheit willen. In<strong>des</strong>sen steht der naturalistische<br />

Zug nicht irn Mittelpunkt <strong>des</strong> Sturm- <strong>und</strong> Drangerlebens.<br />

Ist nicht dieses Erleben ein prirnärhythmischesl<br />

Man denke an die freien Qhythmen, an Klopstocks, arr<br />

Goethes, an Bürgers Gesänge. So lnuß die prosaische Fornt<br />

gerade <strong>des</strong> Dramas aus einer tieferen Schicht stilgeschichtlicher<br />

Begriffe erklärt <strong>und</strong> gedeutet werden.<br />

l) Über W. Shakespeare, S.<br />

a. a. O., S. 46.<br />

zitiert nach H, Schrader,<br />

Was ist Prosa? Wodurch unterscheidet sie sich von<br />

Poesie? Es ist die falsche, populäre Fassung <strong>des</strong> Gegensatzes<br />

von Poesie <strong>und</strong> Prosa, die unter Poesie kurzweg die geb<strong>und</strong>ene,<br />

unter Prosa die ungeb<strong>und</strong>ene Rede versteht. Und<br />

doch möchte ich die Form <strong>des</strong> Sturm- <strong>und</strong> Drangdramas als<br />

prosaisch bezeichnen. Es ist das Nichtüberwinden der<br />

logischen Fesseln, es ist der mehr oder minder sichtbare<br />

I(antpf gegen die Prosa um das Poetische in dieser Sprache,<br />

der ihre prosaische Geb<strong>und</strong>enheit sichtbar werden läßt.<br />

lch verweise zuri.ick auf die ALrsführungen über die Sprache.<br />

Dort ist auch bereits die Antwort auf unsere Frage angedcutet.<br />

Den inneren Bruch von Denken <strong>und</strong> Fühlen, von<br />

Ratiorralität rrnd Irrationalität, von Notwendigkeit <strong>und</strong><br />

Freiheit löst nur die rauschhafte Ablösung von der Welt:<br />

Nur im Hynrnus, inr lyrischen Gedicht wird die Sprache<br />

der Stürmer wirklich rhythnrisch, poetisch, zeithaft bewegt.<br />

Der Mensch iur Dranra aber ist nicht der gelöste Mensch,<br />

der die Welt inr lyrischen Taurnel traumhaft in sich hinübernirnnrt;<br />

es ist der an die Welt geb<strong>und</strong>ene Mensch, es ist<br />

der Mensch als untschlosscrte Gestalt, als handelnde Wirklichkeit<br />

in seiner Verstrickung in die Zuständlichkeiteu<br />

<strong>und</strong> Gesetzlichkeiten der Welt. In die Begriffe der Sturm<strong>und</strong><br />

Drangzeit untgesetzt heif3t das: Der bewußte, dcr<br />

rational verhaftete, der prosaische Mensch steht auf der<br />

Bühne <strong>und</strong> gestaltet durch seinen Willert, sich aus solchen<br />

Bindungen <strong>und</strong> Hemmungen zu lösen, clurch seine Auflehnung<br />

gegen Cesetz, Staat, Vernunft, Sitte, Konventiott<br />

das Dranra. Die prosaisch-poetischc, die rational-irrationale<br />

Gestalt der Sprache bildet zu solcheru Gehalte die<br />

forntale Entsprechuttg. Freiliclr, solche Dcutung ihrer<br />

Form stand nicht int Programm jener Zeit. Was die Stürnrer<br />

erstrebten, war, deutsche Shakespeare zu werden.<br />

Denn in Shakespeare fanden sie wirklich Sprache, die nicht<br />

Gesang war, <strong>und</strong> doch nicht logisch gebrochen, eine un-<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

G.A. Bürger-Archiv

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