Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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I(ornposition<br />
Komposition<br />
l0l<br />
sichtbaren Faden der Zeit vorbeiwallt." All diese Außerungen<br />
- eine unplastische Auffassung Shakespeares ist<br />
ihnen gemeinsam - bestätigen, was zu erwarten war. Auclr<br />
dem Sturm <strong>und</strong> Drang fehlt der Sinn für die Dichte <strong>und</strong> <strong>und</strong>urchlässige<br />
Körperlichkeit Shakespearescher Gestalten.<br />
Man stiirzt nicht rnit Shakespeare Itinein in die Unendlichkeit<br />
seines Raunres, in das Gewiihl sich reibender, stoßender,<br />
vernichtender Substanzen. In allen Nachbildungen jener<br />
Tage ist Shakespeare, rvas die räuntlichen Dimensionen<br />
betrifft, Fläche geworden. Wo ist die Herbheit, Stofflichkeit<br />
<strong>und</strong> für strömenden Gefühlsausdruck noch unerschlossene<br />
Greifbarkeit seines Wortes, die rauntschaffende<br />
Gewalt seiner Bilder <strong>und</strong> Vorstellungen. Auch seine Individuen<br />
sucht man vergebens, <strong>und</strong> sie sind der schärfste<br />
Maßstab für eine Verhältnissetzung Shakespeare gegenüber.<br />
Individuen gibt es nur im Raume. Denn der Begriff der<br />
Individualität f al3t das <strong>Leben</strong> nicht nur als körperlose<br />
Farbigkeit, als seelische Konstellation, er begreift es in<br />
seiner Einrnaligkeit <strong>und</strong> Unteilbarkeit als gegenständliches<br />
Dasein. Aber gerade als Körper, als gegenständliche Dichte.<br />
ist keine der Sturm- <strong>und</strong> Drangfiguren geschaut <strong>und</strong> dargestellt.<br />
Nirgends schließt ihre Konzeption die notwendige<br />
Vorstellung räunrlicher Ticfe ein, so daß sie luftverdrängend<br />
würden, wie es die Gestalten Shakespeares sind. Kurzum,<br />
Shakespeares Welt erfährt durch das Medium rationaler<br />
Geistigkeit eine Entkörperung <strong>und</strong> Verf lachung ihrer<br />
räurnlichen <strong>und</strong> raumzeitlichen Daseinsformen. ln<strong>des</strong>sen,<br />
sie ist nicht nur stofflich <strong>und</strong> von räumlicher Tiefe, sie ist<br />
voll einer Unendlichkeit von Farben, Lichtern <strong>und</strong> Bewegungen.<br />
Hier iiegt ein bcdeutsanter Ankntipfungspunkt<br />
für den Sturnr <strong>und</strong> Drang. Denn das Pittoreske hat schon<br />
Gerstenberg an Shakespeare entdeckt. Und auch Herders<br />
Vorstellung von Shakespeare ist eine drrrchaus malerischlreweste.<br />
Es ist tlas ittt Sturnt uutl Drang nert erwachende<br />
sinnliche <strong>Leben</strong>sgefühl, das rückschauend in Shakespeare<br />
die eigenen Züge wieder erkennt. Doch auch hier verbergen<br />
sich hinter der angenommenen oder geforderten Gemeinsamkeit,<br />
der verwandelten Zeit entsprechend, zu tiefe<br />
Gegensätze, als daß sie übergangen werden könnten.<br />
Es ist eine Zeit, welche Rubens' Körper <strong>und</strong> Rembrandts<br />
Lichter <strong>und</strong> Farben erschaffen hat. Aus dem<br />
Stoffe, aus dem Raume steigt bei Rembrandt Geistiges <strong>und</strong><br />
Seelisches empor. Es ist das Verlorensein dieser Zeit in der<br />
Tiefe eines unendlich offenen, stofflich beschwerten, geheimnisvoll<br />
beleuchteten, weil rational noch unerschlossenen<br />
Raumes, woraus die malerische Verflüchtigung aller<br />
Umrisse <strong>und</strong> Grenzpfad erwächst. Auch für barocke Sprache<br />
ist diese Raum- <strong>und</strong> Stoffgeb<strong>und</strong>enheit das charakteristische<br />
Kennzeichen. Man stelle sie zusammen mit der<br />
Sprache <strong>des</strong> Sturm <strong>und</strong> Drang. Wie unmittelbar tönt hier<br />
die Seele. Und wie schwer ringt dort das Geistige aus dem<br />
Stoffe sich los. Durch räumliche Anscliauungsformen muß<br />
der Geist sich hindurchzwängen, den Weg ins Freie, zu<br />
Ausdruck <strong>und</strong> Verkündigung zu finden. Ich erinnere an<br />
Bildungen (um nur an ein paar unmittelbar greifbaren Erscheinungen<br />
die Sache zu erweisen), wie:<br />
Ich schlaf, ich träume bei dem Wachen.<br />
lch weine mitten in dem Lachen.<br />
Ich bin tot, mein Tod, der lebt,<br />
Und ich leb in meinem Tode.<br />
Fleming, Pein der Liebe.<br />
Fleming, Palinode.<br />
Wie stark ist hier noch die räumlich-gegenständliche<br />
Bindung sprechend: bei dem Wachen, mitten in dem Lachen.<br />
Ganz deutlich wird das in folgendem Beispiel:<br />
Hochgesang, <strong>Wandlungen</strong> dcs Diehtstils. 11<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv