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Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

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178 Komposition<br />

Anschaulichkeit erstrebte die deutsche Klassik wie jede<br />

klassische Kunst. Und doch: Wie blaß, wie durchsichtig<br />

nimmt sich Schillers Macbeth-Drama neben der zur plastischen<br />

Vorstellung zwingenden Gewalt <strong>des</strong> Originales<br />

aus. Dabei bleibt zu erinnern, daß Shakespeares Gestaltungsart<br />

in der Übertreibung <strong>des</strong> anschaulichen Strebens<br />

bereits die Keime der Verflüchtigung <strong>und</strong> Zersetzung alles<br />

Gegenständlichen in sich trägt. Shakespeare ist schon<br />

Ausläufer, nicht mehr Mittelpunkt jener Zeit, die in der<br />

italienischen Renaissance eine neue künstlerische Welt der<br />

klaren Formen <strong>und</strong> schaubaren Umgrenzungen entdeckt<br />

<strong>und</strong> erschaffen hatte. Für die italienische Klassik war<br />

Anschauung nicht, wie für die deutsche, nur ein fernes, fast<br />

unerreichbares ldeal. Für sie hatte die Anschauung noch<br />

eine viel ursprünglichere Bedeutung. Die Eindrücke der<br />

sinnlichen Welt wurden hier noch nicht gebrochen durch<br />

die Macht <strong>des</strong> sieghaften Gedankens, der letzten En<strong>des</strong> bei<br />

Goethe so gut wie bei Schiller, wenn auch hier offener,<br />

dort versteckter, führend <strong>und</strong> herrschend ist. Damit<br />

soll nicht gesagt sein, daß das klassische Weltbild <strong>des</strong><br />

18. Jahrh<strong>und</strong>erts eine kalte gedankliche Konstruktion sei.<br />

Gerade der Sturm <strong>und</strong> Drang, der Mutterschoß deutscher<br />

Klassik, ist jene Station deutscher Geistesgeschichte, in der<br />

ein rationalistisch gebrochenes Weltbild von menschlicher<br />

Einfühlungs- <strong>und</strong> Erlebniskraft durchzittert wird. Aber<br />

- <strong>und</strong> darauf hatte ich schon verschiedentlich hinzuweisen<br />

- auch der Sturm <strong>und</strong> Drang vermag die Linienzüge<br />

rationalistischer Gedanklichkeit nicht auszulöschen, weil<br />

seine Art, die Welt zu umfassen, diese Gedanklichkeit zur<br />

Voraussetzung hat. Und wenn die deutsche Klassik den<br />

Bruch von Gefühl <strong>und</strong> Gedanke, von Begriff <strong>und</strong> Ausdruck,<br />

von Bewegung <strong>und</strong> Beziehung, der dieZeit beherrscht,<br />

versöhnend überspannt, so bedeutet das nach der einseitigen<br />

Stellungnahme <strong>des</strong> Sturm <strong>und</strong> Drang ein neues,<br />

Komposition<br />

t7s<br />

wenn auch geläutertes Sichgründen auf der Basis <strong>des</strong><br />

rationalen WeltgeCankens. Mit anderen Worten: Die<br />

deutsche Klassik wird vom Rationalismus getragen, sie<br />

hat ihn zur Voraussetzung. Wir fragen nach dem tieferen<br />

Sinne dieses Zusammenhangs. Warirm geht die deutsche<br />

Klassik aus vom Denken, warum darf sle nicht unmittelbar,<br />

ohne den Weg über eine entstofflichende rationale<br />

Geistigkeit, das Allgemeine <strong>und</strong> Ervige im Einzelnen ertasten.<br />

Man wird sofort die ganze innere Schwäche nor_<br />

discher Klassik darin zu finden suchen. Aber man vergesse<br />

nicht, was hier Schwäche ist, ist zugleich Stärke.<br />

uneingeschränkte<br />

leOe<br />

Gegenüberstellung nordischer <strong>und</strong> italienischer<br />

Klassik leidet an der einen unzutreffenden Voraus_<br />

setzung: daß es eine <strong>und</strong> dieselbe Welt ist, die hier (in<br />

italienischer Bildkunst) in klarer Sichtbarkeit vor uns steht,<br />

<strong>und</strong> die sich dort aus dem flüchtigen Worte lösen möchte,<br />

ohne je ihrem geistigen, unkörperlichen Elemente voll zu<br />

entrinnen. Was ist es denn für eine Welt, die in den Tagen<br />

der Renaissance klassisch bildhaft wurde? Die Welt als<br />

Nebeneinander, die Welt als Raum, nicht als Zeit. Daß es<br />

überhaupt eine Welt wachsenci. werdend <strong>und</strong> sich wandelnd<br />

gibt, verschweigt sie ganz <strong>und</strong> sie muß es verschweigen,<br />

weil ihr jede Gesetzhaftigkeit fehlt, auch die Folge <strong>des</strong><br />

Geschehens in zeitlosen Kategorien zu ordnen <strong>und</strong> zu umschließen.<br />

Das Besondere deutscher Klassik aber ist es<br />

gerade, daß sie das Seiende inimer zugleich als wirkend <strong>und</strong><br />

werdend faßt. Und hier wurzelt Aufgabe <strong>und</strong> Bedeutung<br />

<strong>des</strong> Rationalismus: erst der rationale Weltgedanke mit<br />

seiner Allgemeingültigsetzung von Logik <strong>und</strong> Kausalität<br />

über die Entwertung von Raum <strong>und</strong> Stoff hinweg schafft<br />

die Möglichkeit, auch den Fluß der Dinge in gliedmäßiger<br />

Ordnung zu schauen <strong>und</strong> alles Geschehen mit gesetzgetragener<br />

Notwendigkeit zu durchdringen. Gibt klassische<br />

Bildkunst höchste Notwendigkeit in der Erscheinung, klas-<br />

12*<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

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