Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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(omposition<br />
Tugend ist mein <strong>Leben</strong>,<br />
Der hab ich ergeben den ganzen Mich<br />
Fleming, Tugend ist mein <strong>Leben</strong>.<br />
Anders nun im Sturm <strong>und</strong> Drang. Das <strong>Leben</strong> bewegt<br />
sich hier in einem viel engeren Kreise. Rationalistische Abstraktion<br />
hat der Welt die stoffliche Tiefe, ihre plastische<br />
Fülle genommen. Der Sturm <strong>und</strong> Drang erstrebt in Auflehnung<br />
gegen solche rationale Verengung <strong>und</strong> Verhaftung<br />
eine neue Öffnung, er sucht eine neue Tiefe. Doch der Weg<br />
führt nicht mehr zurück in die Unendlichkeit <strong>des</strong> barocken<br />
Raumes <strong>und</strong> seines naturhaft stofflichen, plastischen <strong>Leben</strong>s.<br />
Was dort Bewegung war (räumlich tastbar), wird nun Bewegtheit,<br />
seelischer Ausdruck, was dort Farbe war, wird<br />
Ton, <strong>und</strong> Individuum wird nunmehr Seele. Malerisch aber<br />
heißt jetzt nicht mehr eine unendliche Verlandlung von<br />
Raum <strong>und</strong> Körpern, sondern die Verflüchtigung <strong>und</strong>' Zer'<br />
setzung rationaler Grenzlinien durch die Fluten einer überschwellenden,<br />
stoffgelösten Empfindsantkeit. Tiefe <strong>des</strong><br />
Gefühls steht Shakespeares Tiefe <strong>des</strong> Raumes entgegen,<br />
so seltsam die Verknüpfung auch scheinen nag. Shakespeare<br />
macht auch das Empfinden zu Raum <strong>und</strong> Stoff, zn<br />
Welt <strong>und</strong> Körper. (lch erinnere an alle jene Bildungen<br />
seiner Sprache, in denen er das innerlichste Empfinden in<br />
Bilder von greifbarsteräurnlicher Wirklichkeit verwandelt.)<br />
Die Stürmer verwandeln umgekehrt auch die Tiefe <strong>des</strong><br />
gegenständlichen Raumes in Gefühl <strong>und</strong> tönenden Ausdruck.<br />
(Man denke an Herders Sprachtheorie <strong>und</strong> seine ,,Plastik".<br />
Plastik, die Kunst räumlicher Gestaltung, ist für Herder<br />
keine Kunst für das Auge, sondern für das tastende Gefühl.<br />
Seine Sprachtheorie aber bildet eine Welt von Körpern um<br />
in ein Meer voll klingender Seelen.) Schleudert Shakespeare<br />
alles Innerliche <strong>und</strong> Menschliche hinaus in die Welt<br />
<strong>und</strong> ihre unerschlossene Herbheit, der Sturm <strong>und</strong> Drang holt<br />
Komposition 163<br />
die Welt zurück in den Menschen <strong>und</strong> möchte sie umfassen<br />
in einem Atemzug gotterfüllter Trunkenheit.<br />
Wenden wir uns von den theoretischen Erwägungen<br />
zunt praktischen Fall, zu Biirgers Macbethbearbeitung.<br />
Aus dem Raume wächst Macbeth bei Shakespeare<br />
heraus. In Szene III tritt er auf. Doch schon in Szene II<br />
(Szene I ist die eröffnende Hexenszene) war uns,die Welt<br />
in ihrer ganzen Breite eröffnet worden, von der er ausgeht<br />
<strong>und</strong> von der er getragen wird. ("AcampnearForres. Alarum<br />
within, Enter Duncan, Malcohn, Donalbain, Lennox, with<br />
Attendants, meeting a bleeding sergeant,', heißt es darüber<br />
bei Shakespeare.) Bürger hat diese ganze Szene in dem<br />
für den TiefeneindruckWesenflichen, in der Fülle <strong>und</strong> Bedeutsamkeit<br />
ihres Personenkreises, gestrichen. Durch ein<br />
Zwiegespräch belangloser, neueingeführter Figuren wird<br />
wenigstens inhaltlich das für den rveiteren Gang der Dinge<br />
Bedeutsame in die deutsche Bearbeitung herübergerettet<br />
Im fünften Auftritt <strong>des</strong>selben Aktes wird' bei Bürger Macbeth<br />
die Ernennung zum Grafen von Cawdor nicht durch<br />
den König selbst, wie im Originale, sondern durch einen<br />
Brief übermittelt (Entkörperung <strong>des</strong> Geschehens.) Mit<br />
einer Hexenszene nach diesem Auftritt schließt, von Shakespeare<br />
abweichend, der erste Akt. Dadurch kommt ein<br />
Riß zwischen den Hexenspruch <strong>und</strong> Macbeths Entschluß<br />
zum Morde. Der Gegensatz zweier verschiedener Kompositionsweisen<br />
wird zum ersten Male deuflich sichtbar:<br />
einer ganz von Bewegung, Verwandlung <strong>und</strong> Anschauung<br />
getragenen <strong>und</strong> einer, welche alles Geschehen durch eine<br />
rationale Geistigkeit hindurch zerlegt, gegliedert <strong>und</strong> gebrochen<br />
sieht. Bei Shakespeare muß die Bewegung, einmal<br />
begonnen, weiterrasen mitten ins Drama hinein, zu einem<br />
Ruhepunl