Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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158 (omposition<br />
sie die Empfangende, die hilflos Cetriebene, nicht formend<br />
<strong>und</strong> der Versuchung widerstehend wie Banquo. Sie ist ganz<br />
Trieb, ganz Bewegung in dieser Welt der Triebe, der Leidenschaften,<br />
der hinrasenden Belvequng. In ihrem Schoße<br />
wächst r.rnd reift das Schicksal.<br />
Banquo <strong>und</strong> die Lady sind Pfeiler Shakespearescher<br />
Welt. Macbeth ist Mitte, ist umspannender Bogen. Er ist<br />
empfangend, unendlich offen wie die Lady (seine Phantasie<br />
ist Bildwerdung solcher inneren Öffnung). Er ist beharrend<br />
<strong>und</strong> widerstrebend wie Banquo. Noch mehr, er ist wollend<br />
<strong>und</strong> handelnd: sich selber will er als Maß <strong>und</strong> Grenze von<br />
Zeit <strong>und</strong> Dingen. Er greift nicht nach einem Jenseitigen<br />
hiniiber, hier, in Stoff <strong>und</strong> Welt, will er sich setzen als<br />
Ziel <strong>und</strong> Abschluß <strong>und</strong> in seiner Individualität, die vor<br />
allem Ewigen nur verdichteter Augenblick. So kann er<br />
mit jedem Schritt, der ihn versichern soll, nur seinen Untergang<br />
versichern. Er ballt sich maßlos zusammen als individuelle<br />
Einzigkeit, er zerreißt alle Bande, die ihn an die<br />
Welt, an Natur <strong>und</strong> Cesetz fesseln, <strong>und</strong> schafft gerade durch<br />
solche Zusarnmenballung <strong>und</strong> Vereinzelung die unendliche<br />
Öffnung der Welt, ihre Geschichte, ihren setzenden <strong>und</strong> zersetzenden<br />
Ablauf.<br />
Es ist über Eschenburgs Übersetzung kein Wort mehr<br />
zu verlieren. DalJ Shakespeares Drama auch noch in solchem<br />
nüchtern-rationalen Spiegel wirksam bleiben konnte, ist<br />
der sprechendste Beweis für die unverwtistliche Kraft <strong>und</strong><br />
Größe dieser Kunst. Um aber einen Begriff zu geben von<br />
dem Gehalt, der zu Eschenburgs vernunftbeengter Forrn<br />
<strong>und</strong> Gesinnrrng der wesentlich passende ist, möchte ich das<br />
berüchtigte Rezept hierher setzen, das Gottsche dem Drantatiker<br />
mit auf den Weg gegeben hat:<br />
,,Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den<br />
er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will.<br />
Dazu rrsinnt er sich cine allseureine Fabel. darnus die<br />
I(omposition 159<br />
Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der<br />
Historie solche berühmte Leute, denen etwas Ahnliches<br />
begegnet ist: <strong>und</strong> von diesen entlehnet er die Namen für<br />
die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen<br />
zu geben. Er erdenket sodann alle Urnstände dazu, unt<br />
die Hauptfabeln recht wahrscheinlich zu machen, <strong>und</strong> das<br />
werden die Zwischenfabeln, oder Episodia nach neuer Art,<br />
genannt. Dieses teilet er dann in ftinf Stricke ein, die ungefähr<br />
gleich groß sind, <strong>und</strong> ordnet sie so, daß natürlicherweise<br />
das letztere aus dem vorhergehenden fließet; bekümmert<br />
sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie<br />
wirklich so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich<br />
so <strong>und</strong> nicht anders geheißen haben."<br />
Es ist nicht zuletzl das Verdienst Shakespeares, hier<br />
Wandel geschaffen <strong>und</strong> kraft seines Beispiels die Bahn frei<br />
für neue Kräfte gemacht zu haben.<br />
Shakespeares Dramen sind nicht Bilder, Nachahmungen<br />
cler Natur, sie sind Neuschöpfungen von Welten <strong>und</strong> besitzen<br />
alle Dimensionen tastbarer Wirklichkeit. Ward nun<br />
Shakespeare, müssen wir fragen, im Sturrn <strong>und</strong> Drang so<br />
als Dasein <strong>und</strong> gegenständliche Greifbarkeit erfaßt? Am<br />
Eingang der Epoche steht Lessings Wort : ,, Haben wir<br />
Genie, so muß uns Shakespeare das seyn, was dent Landschaftsmahler<br />
clie Camera Obscura ist: er sehe fleißig<br />
hinein. um zu lernen. wie sich die Nattrr in allen Fällen auf<br />
eine Fläche projektiret"l). Gerstenberg betrachtet Shakespeares<br />
Dramen als Gernälde der sittlichen Natur2). Und<br />
Coethe sagt in seinem Aufsatz ,,zum Shakespeares Tag":<br />
Shakespeares Theater ist ein schöner Raritäten-Kasten, in<br />
dem die Geschichte der Welt vor tlnsern Augen an dem rtn-<br />
I ) I-lamburgischeDramaturgie,<br />
73. Stiick <strong>Werk</strong>e V, S. 95.<br />
2) Briefe iiber Merkwiirdigkeitctt tlcr I.iteratLtr, I' Bd.<br />
Schlestvig- l.eipzig r767, S.2l5ff.<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv