Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
l04<br />
I(omposition<br />
schluß eine Scheidelinie, den Aktschluß, legt, vernichtet er<br />
den einheitlichen Fluß <strong>des</strong> Geschehens, der bei Shakespeare<br />
von hier nach dort die Impulse weiterträgt, <strong>und</strong> er raubt<br />
damit dem Zusammenhang beider Ereignisse den Charakter<br />
<strong>des</strong> Anschaulichen <strong>und</strong> unmittelbar Greifbaren.<br />
Gleich der Anfang <strong>des</strong> zweiten Aktes von Bürgers Bearbeitung<br />
bringt weitere bedeutsame Neuerungen. Im Original<br />
spricht Macbeth über das Hexenzusammentreffen <strong>und</strong><br />
seine Ernennung zum Cawdor zuerst aus der Ferne zu seiner<br />
Lady (iiurch einen Brief), um erst dann aus dem Hintergr<strong>und</strong><br />
leibhaft vor sie hinzutreten. Bürger läßt, dem Geschehen<br />
die räumliche Durchsicht raubend. mit dem Eingang<br />
<strong>des</strong> zweiten Aktes die beiden sogleich im gemeinsamen Gespräche<br />
auftreten, in einem Gespräche, das die Lady als<br />
von dem Vorgefallenen bereits unterrichtet voraussetzt.<br />
Die Mordszene selbst wird bei Shakespeare eingeleitet durch<br />
ein Gespräch von Banquo <strong>und</strong> Fleance, fortgeführt von<br />
Banquo mit Macbeth, der dann über einen l{onolog hinweg<br />
zum Morde schreitet. In Bürgers Bearbeitung steht Macbeth<br />
von Anfang an allein. Die Banquo-Stellen sind gestrichen<br />
bzw. in einen anderen Zusammenhang hineingearbeitet.<br />
Nach der Ermordung <strong>des</strong> Königs fliehen die beiden Prinzen<br />
von der unheilschwangeren Stätte solcher Tat. Wir beobachten<br />
ihreVerabredung<strong>und</strong> sehen sie verschwinden. Bei Bürger<br />
erfahren wir nur berichtweise von alledem. Immer zeigt<br />
Shakespeare die Ausstrahlung je<strong>des</strong> Geschehens hinaus in<br />
den Raum, in die Breite der Welt. So in der letzten Szene<br />
<strong>des</strong> zweiten Aktes. Wir erfahren darin die Begleitumstände<br />
der Mordtat draußen in der großen Natur. Wir hören zugleich<br />
von der Krönung <strong>des</strong> neuen Königs (Macbeth), so<br />
aus der Ferne wieder den Mittelpunkt betrachtend, den wir<br />
soeben verlassen haben. Auch diese Szene ist gestrichen.<br />
Eine verwandte Erscheinung wiederholt sich am Ende <strong>des</strong><br />
nächsten Aktes. In zwei nachhinkenden Szenen. in der<br />
Komposition 165<br />
Hekate-Szene <strong>und</strong> der 6. Szene, dem Gespräch von Lennox<br />
mit einem anderen Lord, öffnet Shakespeare wieder die<br />
Perspektive. Wir sehen die Wirkung der Vordergr<strong>und</strong>geschehnisse<br />
hinab in die Tiefen der Natur (Hexenszene)<br />
<strong>und</strong> hinaus in die Breite <strong>des</strong> Raumes (6. Szene). Nur die<br />
Hexenszene hat Shakespeare an ihrer Stelle belassen. Die<br />
Gesprächsszene aber verlegt er in die Mitte <strong>des</strong> nächsten<br />
Aktes, <strong>und</strong> dadurch geht sie ihrer ursprünglichen Funktion<br />
verloren. Sie tritt nun in eine Linie mit der Szene auf<br />
dem Schloß der Lady Macduff <strong>und</strong> der Szene von Macduff<br />
<strong>und</strong> Malcolm. Die erstere wird dadurch von jener Hexenszene<br />
getrennt, in der Macbeth den Entschluß zum Morde<br />
der Lady lVlacduff faßt. Statt eine unmittelbare tiefenhafte<br />
Verwandlung dieser Szene zu sein, kommt sie nun zwischen<br />
zwei Szenen zu stehen, die dem Umschwung der Stimmung<br />
<strong>und</strong> der Vorbereitung der Katastrophe dienen. Das gleiche<br />
Schauspiel wiederholt sich im letzten Akte. Jede Szene,<br />
die Macbeth oder die Lady betrifft, wird hier bei Shakespeare<br />
gefolgt von einer Szene, die draußen spielt in der Tiefe<br />
der Welt, wodurch Macbeth <strong>und</strong> seine Lady stets vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong>e <strong>des</strong> drohend heranrückenden Unheils erscheinen.<br />
Bürger hat alle diese Hintergr<strong>und</strong>szenen gestrichen,<br />
so daß die Handlung nunmehr ganz flächenhaft<br />
vorwärtsrückt. Auch die Kampfszenen am Schluß der<br />
Tragödie hat Bürger gekürzt <strong>und</strong> in der Perspektive stark<br />
verengt.<br />
Mit dieser Verf lachung räumlicher Perspektive geht<br />
nun bei Bürger parallel der Versuch zu stärkerer gefühlsmäßiger<br />
Durchdringung <strong>und</strong> Vertiefung der gesamten<br />
Handlung. Zunächst sind hier zu nennen die vermehrten<br />
Hexenszenen. Rein technisch sind, was die übrige Handlung<br />
betrifft, die Monologe für solche sentimentalische Auflockerung<br />
die geeignetsten Anhaltspunkte. Sie erscheinen denn<br />
auch bei Bürger in erhöhter Bedeutsamkeit. Sie habensprach-<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv