Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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100 Die Sprache<br />
Schiller<br />
l0 I<br />
zweiten nicht auf einem anderen Wollen als solchem liegt,<br />
sondern auf denr veränderten Gegenstan<strong>des</strong> Wollens:<br />
,,nicht abgeneigt bist du v0r ungerechtem Oewinn."<br />
Anders ausgedrückt bedeutet das: Shakespeare zeichnet<br />
ein stetes, immer erneutes Sichverwandeln <strong>des</strong> Wollens,<br />
ein Sichverwandeln triebhaft <strong>und</strong> von innen her. Denn seine<br />
Menschen sind tiefenhaft, getrieben, aus der unendlichen<br />
Bewegung der Natur hervorwachsend, urrd solche Bewegung<br />
in sich umschließend. Schiller kennt solche spontane, irrationale<br />
Bewegung, solche Tausendfältigkeit <strong>des</strong> Herzens<br />
nicht. Seine Nlenschen sind in ewigen, in zeitlos ruhenden<br />
Formen gegriindet <strong>und</strong> verwandeln sich nicht aus sich selber.<br />
Von außen her, aus dem sinnlichen Stoff der Welt, errvächst<br />
für sie Zeit, Weg <strong>und</strong> Veränderung.<br />
Auf eine Erscheinung möchte ich abschließend noch zu<br />
sprechen kommen, die ich bereits bei anderer Gelegenheit<br />
streifen mußte. Ich habe gezeigt, wie Shakespeares Sprache,<br />
<strong>und</strong> zwar nicht nur gelegentlich, sondern ihrenr Wese nach,<br />
statt Gedankbn zu entwickeln, Bilder vor unserem innerr.r<br />
Auge abrollt, wie sie auch das Abstrakteste in ganz individuelle,<br />
greifbare Vorstellungen verwandelt. Aber gerade<br />
diese Schaubarkeit, ja stoffliche Greifbarkeit, welche geistige<br />
Inhalte in dieser Spracherlangen, schließt notwendig auch<br />
eine Entfremdung dieser Inhalte dem Geiste gegenüber ein.<br />
Denn mit ihrer von individuellen r,rnd irrationalen Zügen<br />
beherrschten Schaubarkeit *- nnd sie ist wohl zu unterscheiden<br />
von der anschaulichen Syrnbolik der klassischen<br />
Sprache, hinter der die Gesetzhaftigkeit <strong>des</strong> Geistes immer<br />
gegenw:irtig bleibt - haben diese inhalte auch ihre Eindeutigkeit<br />
verloren <strong>und</strong> die Vieldeutigkeit <strong>und</strong> Tausendfältigkeit<br />
alles Wirklichen empfangen. Man betrachte von<br />
solchen Standpunkte die Überredung zweier lVlänner zurn<br />
Morde durch iVlacbeth (Shakespeare IlIll 92). lclt kanrt<br />
nur wenige Zeilen elaraus hiehersetzen:<br />
Ay, in the catalogue ye go for uren;<br />
As ho<strong>und</strong>s, and greyho<strong>und</strong>s, mongrels, spaniels, curs,<br />
Shouglts, water-rugs, and demi-wolves, are clept<br />
All by the name of dogs: the valued file<br />
Distinguishes thc swift, the slow, the subtle,<br />
The housekeeper, the hunter, every one<br />
According to the gift which bounteous nature<br />
Hath in him closed, wirereby he does reccivc<br />
Particular addition, frotn the bitl<br />
That rvrites thent all alike: and so of tttetl.<br />
How, if you have a station in the file,<br />
Not i'the worst rank of manhood, say't;<br />
And I will put that business<br />
your bosttttts<br />
Whose execution takes your eltenty off,<br />
Grapples you to the lteart aud love of us,<br />
Wlto u'ear our hcalth but sickly in his life,<br />
Which in his death rvere perfect.<br />
Sh. lll/lv. Ja, ja, ihr lauft so auf der Liste ntitl<br />
Wie Dachs <strong>und</strong> Windspiel alle H<strong>und</strong>e heißctt;<br />
Die eigne Rassc aber untcrscheidet<br />
Deu schlauen Spiirer, den gctreuen Wächtcr,<br />
Dcn flüchtgen Jäger. So attclt nrit den Menscltett.<br />
Doch, rvenn ihr wirklich Männer seid, <strong>und</strong> zwar<br />
An echter Mannheit nicht die allerletzten,<br />
So zeigt es jetzo! Rächet euch <strong>und</strong> miclt<br />
An einem Feindc, der uns gleich verhaßt ist.<br />
Welches inrnter crneutc Utnreißen <strong>und</strong> Aufschwellen<br />
<strong>des</strong> Cedankens bei Shakespcare. Von allen Seiten sucht<br />
der Spreclrende seinen Gegenstand zu ergänzen Denn<br />
er gibt nicht einen eindeutig festgelegten geistigen Inhalt,<br />
er gibt Stoff, Bilder, Welten. Wie kann er wissen, ob diese<br />
Bilder so gescharrt, so gedeutet, so verstanden werden,<br />
wie er sie faßt. In alle Tiefen hin wird er sie verbreitern,<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv