Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...
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Rhythmus<br />
Rhythmus 139<br />
endliche Folge, die doch nicht Folgerung; sie schauten<br />
konkrete Bilder <strong>und</strong> fanden nirgends determinierte Begriffe.<br />
Daraus mußten sie entnehmen - das war ein notwendiger<br />
Irrtum -, daß hier nichts Plan <strong>und</strong> Absicht, nichts<br />
Kunst <strong>und</strong> Ordnung sein kann. Shakespeare wurde das<br />
einzigartige Naturgenie. Er ward ihnen das große Ziel,<br />
um das sie vergeblich rangen. Denn auch Shakespeares<br />
Drarnen muß nran deuken, um sie zu gestalten <strong>und</strong> nachzugestalten.<br />
Denken aber heißt für Shakespeare lebendiges<br />
Schauen, bildhaftes Verwandeln. Für die Stürmer,<br />
die Kinder <strong>und</strong> Gegenspieler <strong>des</strong> Rationalismus, dagegen<br />
bedeutet Denken unbewegtes Folgern <strong>und</strong> läßt sich nicht<br />
durchdringen mit rhythmischern Gefühl, ohne als Denken<br />
entwertet <strong>und</strong> verflüchtigt zu werden. Das ist die erste<br />
Antwort auf die Frage, warunt Shakespeares Dramen nicltt<br />
rhythmisch in den Sturnr- <strong>und</strong> Drangstil umgesetzt werdcn<br />
konnten. Es gibt noch eine zweite, ergänzende.<br />
Shakespeares Rhythmus ist subjektiv <strong>und</strong> objektiv<br />
zugleich. Er wächst aus den Individualitäten, er verdichtet<br />
sich unr ihr Handeln, urn ihr triebhaft dunkles Wirken, <strong>und</strong><br />
doch ist er immer mehr als ein freies schöpferisches Ausströmen.<br />
Unaufhaltsam treibt er über alles Individuelle<br />
hinaus. Er wird zum Rhythmus einer Welt, zutn Atem der<br />
Geschichte <strong>und</strong> rückstrahlend aus objekt-erfüllter Tiefe<br />
zwingt er allem Individuellen <strong>und</strong> Vereinzelten sein unendliches<br />
Maß, seinen titanischen Willen auf.<br />
Der Sturm <strong>und</strong> Drang kennt nicht solchen überindividuellen<br />
Rhythmus, der als schicksalsschaffende Woge von Körper<br />
zu Körper, von Wirklichkeit zu Wirklichkeit seinen Weg<br />
sich bahnt, die Gegenwart zu unendlichem Ablauf öffnend.<br />
<strong>Leben</strong> ist hier kraft eines entkörpernden Denkens abgetrennt<br />
von stofflicher Tiefe <strong>und</strong> liegt geballt als seelische Empfindung<br />
in monadischen Kreisen. Und wenn solches <strong>Leben</strong><br />
aus rationaler Verhaftung <strong>und</strong> Umschließung sich löst <strong>und</strong><br />
irn Taumel ergie{3t, so ist das nicht der todbringende Vorwärtsgang<br />
Shakespearescher Welten, s0ndern der freie,<br />
ungefesselte, rauschhaft selige Rhythmus eines hymnischen<br />
Gesanges. Dessen Gang aber schafft keine Geschichte <strong>und</strong><br />
keine Schicksale. Denn die Zeit ist darin ohne eigene Kraft<br />
<strong>und</strong> ohne eigenen Willen, sie wird zum freien Spiel seelischer<br />
Kräfte, zum gesetzlosen Ausdruck einer tiberströmenden<br />
Fülle <strong>und</strong> Gegenwärtigkeit. So liegt die zweite<br />
Antrvort auf die gestellte Frage ir der Verschiedenheit <strong>des</strong><br />
rhythrnischeu Erlebens überhaupt, in der verwandelten<br />
Stellung zuur Zeitbegriff. Ich habe diese Unterschiedlichkeit<br />
in der Zeilauf.fassunts schon einmal in andcrem Zusanrmenhange<br />
charakterisiert <strong>und</strong> verweise darauf.<br />
Es gibt rhythtnische Shakespcarebruchstücke l{erders,<br />
daruntcr cirre Übersetzung <strong>des</strong> Dolchrnonologs. Ich gebc<br />
den letzteren hier lvieder, weil er in bedeutsamer Weise das<br />
oben Ausgeführte zu illustrieren vermag.<br />
Sh, Il/1. Is this a dagger which l see before rnc<br />
The hanclle toward nrv hand ? Come let me clutch<br />
thce. -<br />
I have thce not, and yet I see thee still.<br />
Art thou not. fatal vision. sensible<br />
To feeling as to sight? or art thou but<br />
A dagger of the mind, a false creation,<br />
Proceeding from the heat-oppressed brain ?<br />
I see thee yet, in fornt as palpabte<br />
As this which now I draw.<br />
Thou marshall'st me the r,vay that I was going;<br />
And such an instrument I was to use.<br />
Mine eyes are made the fools o' the other senses,<br />
Or else worth all the rest; I see thee still,<br />
And on thy blade and dLrdgeon gouts of blood,<br />
Which lvas not so before. - There's no such thing:<br />
G.A. Bürger-Archiv<br />
G.A. Bürger-Archiv