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Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

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38<br />

Rhythmus<br />

Rhythmus 139<br />

endliche Folge, die doch nicht Folgerung; sie schauten<br />

konkrete Bilder <strong>und</strong> fanden nirgends determinierte Begriffe.<br />

Daraus mußten sie entnehmen - das war ein notwendiger<br />

Irrtum -, daß hier nichts Plan <strong>und</strong> Absicht, nichts<br />

Kunst <strong>und</strong> Ordnung sein kann. Shakespeare wurde das<br />

einzigartige Naturgenie. Er ward ihnen das große Ziel,<br />

um das sie vergeblich rangen. Denn auch Shakespeares<br />

Drarnen muß nran deuken, um sie zu gestalten <strong>und</strong> nachzugestalten.<br />

Denken aber heißt für Shakespeare lebendiges<br />

Schauen, bildhaftes Verwandeln. Für die Stürmer,<br />

die Kinder <strong>und</strong> Gegenspieler <strong>des</strong> Rationalismus, dagegen<br />

bedeutet Denken unbewegtes Folgern <strong>und</strong> läßt sich nicht<br />

durchdringen mit rhythmischern Gefühl, ohne als Denken<br />

entwertet <strong>und</strong> verflüchtigt zu werden. Das ist die erste<br />

Antwort auf die Frage, warunt Shakespeares Dramen nicltt<br />

rhythmisch in den Sturnr- <strong>und</strong> Drangstil umgesetzt werdcn<br />

konnten. Es gibt noch eine zweite, ergänzende.<br />

Shakespeares Rhythmus ist subjektiv <strong>und</strong> objektiv<br />

zugleich. Er wächst aus den Individualitäten, er verdichtet<br />

sich unr ihr Handeln, urn ihr triebhaft dunkles Wirken, <strong>und</strong><br />

doch ist er immer mehr als ein freies schöpferisches Ausströmen.<br />

Unaufhaltsam treibt er über alles Individuelle<br />

hinaus. Er wird zum Rhythmus einer Welt, zutn Atem der<br />

Geschichte <strong>und</strong> rückstrahlend aus objekt-erfüllter Tiefe<br />

zwingt er allem Individuellen <strong>und</strong> Vereinzelten sein unendliches<br />

Maß, seinen titanischen Willen auf.<br />

Der Sturm <strong>und</strong> Drang kennt nicht solchen überindividuellen<br />

Rhythmus, der als schicksalsschaffende Woge von Körper<br />

zu Körper, von Wirklichkeit zu Wirklichkeit seinen Weg<br />

sich bahnt, die Gegenwart zu unendlichem Ablauf öffnend.<br />

<strong>Leben</strong> ist hier kraft eines entkörpernden Denkens abgetrennt<br />

von stofflicher Tiefe <strong>und</strong> liegt geballt als seelische Empfindung<br />

in monadischen Kreisen. Und wenn solches <strong>Leben</strong><br />

aus rationaler Verhaftung <strong>und</strong> Umschließung sich löst <strong>und</strong><br />

irn Taumel ergie{3t, so ist das nicht der todbringende Vorwärtsgang<br />

Shakespearescher Welten, s0ndern der freie,<br />

ungefesselte, rauschhaft selige Rhythmus eines hymnischen<br />

Gesanges. Dessen Gang aber schafft keine Geschichte <strong>und</strong><br />

keine Schicksale. Denn die Zeit ist darin ohne eigene Kraft<br />

<strong>und</strong> ohne eigenen Willen, sie wird zum freien Spiel seelischer<br />

Kräfte, zum gesetzlosen Ausdruck einer tiberströmenden<br />

Fülle <strong>und</strong> Gegenwärtigkeit. So liegt die zweite<br />

Antrvort auf die gestellte Frage ir der Verschiedenheit <strong>des</strong><br />

rhythrnischeu Erlebens überhaupt, in der verwandelten<br />

Stellung zuur Zeitbegriff. Ich habe diese Unterschiedlichkeit<br />

in der Zeilauf.fassunts schon einmal in andcrem Zusanrmenhange<br />

charakterisiert <strong>und</strong> verweise darauf.<br />

Es gibt rhythtnische Shakespcarebruchstücke l{erders,<br />

daruntcr cirre Übersetzung <strong>des</strong> Dolchrnonologs. Ich gebc<br />

den letzteren hier lvieder, weil er in bedeutsamer Weise das<br />

oben Ausgeführte zu illustrieren vermag.<br />

Sh, Il/1. Is this a dagger which l see before rnc<br />

The hanclle toward nrv hand ? Come let me clutch<br />

thce. -<br />

I have thce not, and yet I see thee still.<br />

Art thou not. fatal vision. sensible<br />

To feeling as to sight? or art thou but<br />

A dagger of the mind, a false creation,<br />

Proceeding from the heat-oppressed brain ?<br />

I see thee yet, in fornt as palpabte<br />

As this which now I draw.<br />

Thou marshall'st me the r,vay that I was going;<br />

And such an instrument I was to use.<br />

Mine eyes are made the fools o' the other senses,<br />

Or else worth all the rest; I see thee still,<br />

And on thy blade and dLrdgeon gouts of blood,<br />

Which lvas not so before. - There's no such thing:<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

G.A. Bürger-Archiv

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