06.11.2013 Aufrufe

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

Hochgesangs Wandlungen des Dichtstils - Leben und Werk des ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Sprache<br />

Dorothea Tieck<br />

l2l<br />

gegenriber. Das klassische Symbol war die zeitlose Gtiltigkeit<br />

<strong>des</strong> einen Falles, der alle in sich schließt <strong>und</strong> darttnl<br />

für alle stehen kann. Aber das romantische Sinnbild hat<br />

seinen Sinn nicht in sich eingeschlossen, denn es ist unendlich<br />

<strong>und</strong> läßt sich in kein Bild verschließen. Es kann<br />

nur scheinen <strong>und</strong> bedeuten. Das klassische Syntbol ist zeit'<br />

los. Die romantische Allegorie ist ihrer sichtbaren Forrrt<br />

nach einmalig, zeitlich, der Bedeutung nach unendlich."<br />

(Fritz Strich, Deutsche Klassik <strong>und</strong> Romantik, S. 213')<br />

Ich hatte in der Vergleichung von Shakespeare ntit<br />

Schiller einen diesem Nebeneinander von rotrtantische<br />

Allegorie <strong>und</strong> klassischer Syrnbolik verwandten Gegensatz<br />

in zahlreichen Beispielen zu belegen <strong>und</strong> zu behandeln.<br />

Daher erübrigt es sich, das dort Gesagte hier zu wiederholen,<br />

um so mehr, als die Tiecksche Übersetzung int Groben<br />

<strong>und</strong> Allgemeinen den unmittelbaren Anschluß an Shakespeares<br />

Metaphorik gewonnen hat. Es wird vielmehr vorzuziehen<br />

sein, das rontantische Bild gerade mit dieseln<br />

feineren, weil clcnr romantischen Stilcharakter näher'<br />

stehenden Maßstabe <strong>des</strong> Shakespeare-Originales selbst zu<br />

vergleichert. Vielleicht wird gerade solcher Vergleich nlanche<br />

intimen, dent flüchtigen Blick entschwindenden Ztige ronrantischer<br />

Sprachenthüllen. -<br />

Romantische Sprache ist tönend. Denn die Unendlichkeit<br />

webt in ihr. die all-eine Tiefe alles <strong>Leben</strong>s. Darin<br />

liegt Shakespeare gegenüber Gemeinsames wie Trennen<strong>des</strong>.<br />

Auch Shakespeares Sprache tönt, aber nicht, weil je<strong>des</strong><br />

Wort nur Ton, nur Duft <strong>und</strong> Hauch, nur Zeit <strong>und</strong> Seele<br />

werden möchte. Die Musik der Sprache Shakespeare<br />

gleicht vielmehr dem Rauschen eines Stromes, wo jeder<br />

Tropfen klingt, nicht weil er Ton, sondern weil er Stoff<br />

sein, Körper sein <strong>und</strong> beharren wrll. Shakespeares Sprache<br />

tönt, trotzdem <strong>und</strong> weil sie gegenständlich, dicht <strong>und</strong> voll<br />

stofflicher Herbheit ist. Die unendliche Spannung, die in<br />

ihr wirkt, reilit <strong>und</strong> zerreißt Körper au Körper, trallt die<br />

Worte zunt Strome <strong>und</strong> bringt sie zum Klingen.<br />

Damit berühre ich schon ein zweites: Die Bewegung der<br />

rontantischen Sprache ist ein freies Sichhingeben, ein<br />

träumerisches Sichverlieren. Aus ihrem Wandel spriclrt<br />

der melancholische Schicksalston, daß alles doch nur durch<br />

tarrsend Brechungen von Zustand zu Zusland sich öffnen<br />

rrnd entdämmen kann. Shakespeares Sprache aber ist unettdlich<br />

bewegt, unendlich getrieben, gerade weil in ihr ein<br />

nta13loser Wille zur iudividuellen Verdichtung <strong>und</strong> Vereinzelung<br />

wirkt.<br />

Slt. I l/ II 35. Methought I heard a voice cry" Sleep no rnore !<br />

Macbeth does murder sleep", - the iunocent<br />

steep,<br />

Sleep that knits up the ravell'd sleave of care,<br />

'l'he death of each day's Iife, sorc labour's bath,<br />

Balm of hurt minds, great nature's second<br />

coursc,<br />

Chief nourisher in life's feast, -<br />

'l'.<br />

,\1ir war, als rief es: ,,Schlaft nicht mehr, Macbeth<br />

Mordet den Schlaf !" Ihn, den unschuldgen Schlaf ;<br />

Schlaf, der <strong>des</strong> Grams verworrn Gespinst entwirrt,<br />

Den Tod von jedern <strong>Leben</strong>stag, das Bad<br />

Der w<strong>und</strong>en Müh', den Balsam kranker Seelen,<br />

Den zweiten Gang im Gastmahl der Natur,<br />

Das nährendste Gericht beim Fest <strong>des</strong> <strong>Leben</strong>s.<br />

Wie ist bei Shakespeare alles eng, dicht, herb, individuell!<br />

Diese Sprache öffnet sich zu unendlicher Bedeutsamkeit,<br />

rveil ihre Konturen zu eng <strong>und</strong> stofflich, um Geistiges<br />

zu umschließen. BeiTieck fehlt jedem Glie der Olaube<br />

an sich selber, jeder Station <strong>des</strong> Cedankens der Wille zu<br />

individueller Geltung. Das Wort will seinen Gehalt nicht<br />

mehr bändigen <strong>und</strong> umfassen, es Iäßt ihn verströmen.<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

G.A. Bürger-Archiv

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!