Freiwild. Zum Beispiel Konrad - Hermann W. Prignitzer

„Aber das heißt doch noch lange nicht –“
„– doch, das heißt es. Karsten bietet sich mir auch immer an. Und Fuhrmann bringt ihn
heute da mit hin. Tag des Forstarbeiters, schon mal davon gehört?“
„Nein.“
„Tja, gibt’s aber, ist nur eigentlich schon im Juni, aber da konnte er dieses Jahr nicht begangen
werden, da hatten sie im Revier nebenan gerade mit einem Waldbrand zu kämpfen.
War ein Sabotageakt. Ist allerdings relativ glimpflich ausgegangen diese Sauerei. Und heute
wird der Ehrentag der Forstarbeiter nun nachgefeiert. Warum sollen seine Leutchen es
schlechter haben als wir Lehrer und Erzieher, sagt Franz.“
„Wer is’ denn Franz?“
„Na der Förster. Franz Bruchsal. Mein Jahrgang. Auch im KZ gesessen. Von daher ein
guter Genosse. Integer bis auf die Knochen. Und der und ein, zwei seiner Gehilfen... na wart’
ab, die ziehen dir und Karsten Knopf die Hammelbeine lang. Wobei ich dem Knopf nicht
groß was vorzuwerfen haben, außer dass er mit dir verkehrt. Und bevor er dadurch auch Unheil
anrichtet, da bau ich schon mal vor. – Warum bist du denn plötzlich so blass, Konrad?
Als ich dich eben von Lademann abgeholt habe, da sahst du noch aus wie das blühende Leben.“
„Da müssen Sie sich verguckt haben. Wissen Sie, wie oft ich die Nacht herhalten musste?“
„Wie oft denn? Fünfmal, sechsmal, oder wie oft?“
„Kam mir wie andauernd vor.“
„Das wirst du gleich wieder kriegen. Du quasselst nicht noch mal wen klapsmühlenreif
oder lebensmüde, Wohlgemuth, sonst ziehen wir dir das Fell über die Ohren. Und dann nichts
mehr mit Stimme wie Balsam oder was dir dieser Morgenthaler noch so alles andichtet. Was
studiert er grade mit dir? War es Schubert? Was aus der ‚Winterreise‘?“
„Ja.“
„Schöne Musik, gefällt mir. ‚Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus.‘ So
fängt es doch an, oder?“
„Ja.“
„Mensch, Konrad, besinn dich, werd’ endlich zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. Was
ich liebend gern anders sagen würde, aber leider haben wir ein sozialistisches Pendant für
diese griffige Formel noch nicht gefunden. Vielleicht geht ja dir eine auf, wenn du den Tag
heute halbwegs mannhaft überstanden hast.“ – Halbwegs mannhaft. Ich mocht’ nicht fragen,
was er darunter verstand. Aber überstanden hab’ ich den Tag; allzu viel macht irgendwann
empfindungslos. Da waren Strassner, Fuhrmann, Schmiedel, da war dieser Förster und da
waren zwei seiner Gehilfen; der eine sah aus, als wäre er schon nahe der Rente, der andre war
um die Vierzig und steuerte die Zwillingssöhne seines Nachbarn bei; die Jungs so etwa in
Karstens und meinem Alter und schon vor Zeiten abgestumpft, wie es schien. Und gegen halb
zwei hatte der Spuk ein Ende; um 14 Uhr begann im Krug des Dorfs hinterm Forst die eigentliche
nachzuholende Ehrentagsfeier für Forstarbeiter (und Jäger). Woran weder Strassner,
Fuhrmann, Schmiedel noch Karsten und ich teilnahmen. Karsten, ich während all der maßlosen
Beanspruchung aller Jungs mit ihm kein Wort gewechselt, ward von Fuhrmann eingesackt,
musste retour. Ich dagegen hatte nackt zu bleiben und „extra für Herrn Schmiedel noch
ein fröhliches Stündchen“ übrig zu haben, wie Strassner sich ausdrückte, dem am weiteren
Mitmachen jetzt nichts lag; der ging sich im Wald die Beine vertreten, und kaum war er raus,
hatte ich mich ins Badezimmer zu verfügen, mich in die Wanne zu hocken, und Schmiedel
pisste mich an. Hätt’ ich verdient, hätt’ noch was ganz andres verdient; „wenn ich jetzt scheißen
könnte, schisse ich dir in die Fresse, du Teufel mit dem verdammten Engelsgesicht.
Weißt du, was du mir angetan hast? Hab’ wochenlang gezittert, der Junge nennt meinen Namen,
sagt, dass er von seinem Onkel redet. Und nun haben sie den Jungen zwar endlich als
geistig verwirrt eingestuft, so quasi als unzurechnungsfähig, aber ausgestanden is’ es für mich
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