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Freiwild. Zum Beispiel Konrad - Hermann W. Prignitzer

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wusst’ ich’s schon jahrelang als Herr Goldschmidt, ein Mann Mitte fünfzig, als er mir seine<br />

Einschätzung der Heim-Verhältnisse offerierte, aber was sollt’ sein: ich nickte. Das ereignete<br />

sich gleich in dem Herbst, der auf den Sommer folgte, in dem mir auch noch der Herr Lademann<br />

aufgedrückt wurde und der Herr Richter bei Herrn Direktor Strassner in eine mäßige<br />

Ungnade fiel; letzte Woche vor den Ferien zwischen meinem zehnten und .elften Schuljahr.<br />

1957, ich 16. – „So nun zisch mal ab, schnapp dir deine Badesachen, geh dir den Hintern<br />

kühlen“, meinte Herr Fuhrmann, ich die Himbeerkaltschale mit Vanillesoße lustlos in mich<br />

reingeschaufelt. Appetit gleich Null. Was nicht der Kaltschale anzukreiden war. Und ab<br />

zischte ich nun mitnichten; ich ging mit Bedacht. Nahm die zwei halben Treppen abwärts, die<br />

vom Erziehertrakt zum Schlafsäletrakt, mit gebotener Vorsicht, musst ja nicht noch mehr ziepen,<br />

als mein Hintern eh schon ziepte. – „Da bist du ja endlich“, empfing mich Karsten, „hast<br />

du viel durch?“<br />

„Ja hab’ ich. Erzähl ich dir nachher am See.“<br />

„Da kann ich nich’ mit, muss hierbleiben. Wenn ihr alle weg seid, hab’ ich mich bei<br />

Strassner einzufinden. Und die Nacht muss ich zu Rabelt. Der hat angeblich noch immer<br />

schlimme Schmerzen in der Schulter.“<br />

„Letzte Nacht hatte er keine. War ich wieder nur da, weil er was vor die Flinte brauchte.“<br />

„So wird’s mir wohl auch geh’n. Du, als ich Mittag von der Schule kam, da hofft’ ich<br />

noch, ich käme womöglich drum herum, und trotzdem habe ich am Bahnübergang mal wieder<br />

den Wunsch verspürt, mich vor einen Zug zu werfen.“<br />

„Du bist wohl verrückt.“<br />

„Ja, ja, ich weiß, aber das hier noch mindestens zwei Jahre, und dann das Gefühl, die<br />

werden immer gemeiner. Auch zunehmend dreister. So als sind sie sich hundertprozentig sicher,<br />

dass sie nicht auffliegen.“<br />

„Nicht so ganz, zumindest Strassner nich’. Erzähl ich dir heute Abend, wenn noch Zeit<br />

bleibt, sonst morgen.“<br />

„Wenn ich morgen noch krauchen kann, heißt es.“<br />

„Komm, das überstehst du wie immer. Hab’s doch auch wieder hinter mich gebracht.“<br />

„Man sieht’s dir an.“<br />

„Hatt’ ja auch angeblich Kopfschmerzen. Gab’s was Besonderes in der Schule?“<br />

„Nee. Haben auch nichts auf.“<br />

„Haben sie hier schon gesagt, wer uns zum Baden ausführt.“<br />

„Richter und Stahnke.“<br />

„Ach auch das noch.“<br />

„Wieso?“<br />

„Erzähl ich dir alles später.“<br />

5<br />

Der kleine Suhlesee vor dem Stadtforst gelegen. Das Freibad am Waldrand. Für uns erreichbar<br />

in etwa fünfzehn Minuten, liefen wir scharfen Schritts, und ein anderes als dies Tempo<br />

ward uns nicht zugestanden, waren wir als Gruppe unterwegs. Und als Gruppe hieß: geordnet<br />

hintereinander weg in Zweierreihe und im Gleichschritt. Wir waren doch keine „latschende<br />

Horde von Zigeunern“ oder „von nassen Säcken“ oder „von Schlappschwänzen“. In<br />

der Öffentlichkeit zu zeigen hätten wir, dass im Heim Zucht und Ordnung herrschte und wir<br />

heranwüchsen zu verlässlichen Erbauern einer lichten Zukunft nach den Ideen von Marx, Engels,<br />

Lenin, zunächst auch Stalin, aber Stalin war in meinen letzten Heimjahren schon sachte<br />

am Abhandenkommen, jedenfalls mussten wir ihn nicht mehr anbeten. Was tat’s, Götter hatten<br />

wir auch so genug, und zu zeigen hatten wir, dass wir uns würdig erwiesen, sie anbeten zu<br />

dürfen. Im Heim sowieso, aber auch der Öffentlichkeit war das Bild hoffnungsvoller, weil<br />

pflichtbewusster Heranwachsender zu vermitteln. Sollt’ aussehen: Es lohnte, dass die Werk-<br />

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