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Freiwild. Zum Beispiel Konrad - Hermann W. Prignitzer

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es mir nach Jochen Brands Information durch den Kopf. Jemanden für krank und gesondert<br />

beaufsichtigungsnötig zu erklären war keine Kunst, wenn Richter es drauf anlegte. Dann hieß<br />

es vielleicht: ‚Hör mal, Soundso, ich will die Nacht mal wieder was von dir. Du meldest dich<br />

nach dem Abendbrot laut und vernehmlich bei mir krank, verstanden? Und dann nehm’ ich<br />

dich umgehend raus aus dem Schlafsaal. Denkt sich keiner was dabei.‘ – Wer würde da Nein<br />

zu sagen sich trauen; wir spurten doch alle, so wie es auch klappte, dass wir uns untereinander<br />

nicht austauschten. Jeder tischte den Kameraden die jeweilige Lüge auf, die er angehalten<br />

war, den Kameraden zur Vertuschung eines wahren Sachverhalts zu offerieren. Mag sein,<br />

dass es im Heim noch mehr Freundschaften gab, wie die zwischen Karsten Knopf und mir,<br />

aber das waren keine Brutherde für eine Revolte, sprich: es ließ Strassner & Co nicht auffliegen.<br />

Darüber war ich mir im Klaren, und dass das mit dem Philipp Giesemann und dieser Uhr<br />

eine böse Finte gewesen war, darüber war ich mir auch im Klaren. Richter hatte den Jungen<br />

letzte Nacht aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen gebraucht. Da er an dem aber noch nie sein<br />

Mütchen gekühlt hatte, nun jedoch so scharf auf ihn war, dass er nicht hatte warten wollen,<br />

bis er ihn zwecks Hausarbeit am Tage abschleppen konnte, hatte er ihm, dem noch vollkommen<br />

Ahnungslosen ja nicht mit dem Satz kommen können: „Hör mal, Giesemann, ich will<br />

die Nacht mal wieder was von dir. Du meldest dich nach dem Abendbrot laut und vernehmlich<br />

bei mir krank, verstanden? Und dann nehm’ ich dich umgehend raus aus dem Schlafsaal.<br />

Denkt sich keiner was dabei.“<br />

„Stimmt, hast recht, damit konnt’ er dem Kleinen nicht kommen “, sagte Karsten, der<br />

noch Zeit hatte, bis er zu Rabelt musste, und ich ihm denn also erzählt, was ich letzte Nacht<br />

gesehen, von Rabelt bestätigt gekriegt und am Vormittag von Richter höchstpersönlich gehört<br />

hatte: Richter verging sich an den Steppkes. „Ach ja, und stell dir mal vor, der war auch noch<br />

sauer, dass er den Achtjährigen nicht geknackt gekriegt hat.“<br />

„Richter also noch ekelhafter als die andern.“<br />

„Du, ich glaube, da nimmt sich einer mit dem andern nichts. Wenn ich an heute Nachmittag<br />

denke...“ Und ich gab Karsten kund, was mir im Freibad passiert war. „Na ja, und<br />

nachher warten Ludwig –“<br />

„– und Herbert auf dich.“<br />

„Ja, ja, würde mir unter normalen Umständen ja auch gefallen. Aber so wie es von gestern<br />

Abend an gelaufen is’ –“<br />

„– willst heute keinen mehr reinkriegen.“<br />

„Nee, keinen Schwanz und keinen Finger und nichts.“<br />

„Dann sag’: du hast Durchfall, dann fickt dich auch keiner.“<br />

„Ja, so muss ich wohl vorgehen, aber dass ich zu so was gezwungen bin –“<br />

„– richtig, das ist das eigentliche Unrecht, das uns sie uns hier antun. Unsern Liebhabern<br />

müssen wir uns verweigern, weil Verbrecher uns lahmgelegt haben. Rosette verhackstückt<br />

sozusagen. Aber was dagegen machen, Konni? Mindestens die nächsten zwei Jahre müssen<br />

wir hier noch aushalten. Oder sich vor einen Zug schmeißen.“<br />

„Nee du, das is’ keine Lösung, Karsten. Mach so was ja nich’, hörst du. Ich brauch’ dich.<br />

Durch dich hab’ ich doch wenigstens einen, mit dem ich frei heraus reden kann.“<br />

„So geht’s mir mit dir auch, Konni. Bloß gut, dass wir uns so nahe gekommen sind.“<br />

„Da am stillgelegten Güterbahnhof.“<br />

„Ja genau da. Als wir von diesem Scheiß Mathe-Lehrer gekommen sind.“<br />

„Vorher stundenlang dem seine Briketts gestapelt.“<br />

„Und nun ist einer dem andern einer, vor dem man sich nicht verstecken muss.“<br />

„Und das werden wir uns doch nicht nehmen, indem sich einer von uns umbringt, Karsten.“<br />

„Das wäre dem andern gegenüber verantwortungslos, was?“<br />

„Nee, so möcht’ ich das auch wieder nicht verstanden wissen. Wenn einer überhaupt kein<br />

Licht mehr sieht, dann steht er auch in keiner Verantwortung mehr.“<br />

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