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Freiwild. Zum Beispiel Konrad - Hermann W. Prignitzer

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See strebte ich zu, stakste aber nicht tief rein, nur so weit, dass ich, legte ich mich auf den<br />

Bauch, die Ellbogen aufgestützt, den Kopf die in Hände gelegt, meinen Körper vom Wasser<br />

überflutet fühlte. Das tat not, das tat gut, und auf mehr war ich nicht aus. Wurde auch eine<br />

Weile nicht beachtet; ich lagerte etwas abseits des Badetrubels, das hieß schon dichte am<br />

Schilfgürtel, den nur das Freibad unterbrach, ansonsten das Ufer des Suhlesees rundum breit<br />

verschilft. Durchs Schilf verdufteten wir auch, wollten wir uns mal ein Weilchen im Wald<br />

verkrümeln. Das fiel, war im Bad tüchtig Betrieb, unseren uns begleitenden Erziehern nicht<br />

auf. Über den Zaun zu verschwinden war schwieriger. Und an der Kasse vorbei, raus, wieder<br />

rein, war nur mit Tageskarte möglich. So was kriegten wir Heimlinge aber nicht in die Hand,<br />

wir zahlten den Eintritt ja nicht jeder einzeln. Rein im Rudel, raus im Rudel. Aber was machten<br />

wir in unserer Freizeit nicht im Rudel? Wobei Vereinzelungen unserer Lebensqualität<br />

auch nicht groß aufgeholfen hätten, dadurch zum <strong>Beispiel</strong> als schon Älterer in der Stadt mit<br />

Mädchen anzubändeln war aussichtslos. Wer es von unseren Lehrlingen bei der Arbeit schon<br />

hier und da versucht hatte, war jeweils abgeblitzt. Und Ludwig hatte in der Oberschule nichts<br />

anderes erlebt. Mit einem aus dem Heim wollt’ ein Mädel nichts zu tun haben. Mit uns wollte<br />

generell niemand was zu tun haben. Mit uns ließ man sich nicht ein. Kein Kind, keine Jugendliche,<br />

kein Jugendlicher, keine Frau, kein Mann, und wenn doch ein Mann, wie Herr Lademann<br />

etc., dann ging’s dem Betreffenden um nichts Ehrbares. Letztlich waren wir der Stadt<br />

Schmutzhaufen, unser Heim der Stadt Schandfleck. Das Wort ‚Asoziale‘ war noch nicht sonderlich<br />

Volksmund, dafür aber ‚Pack‘ oder ‚Gesindel‘. Nicht, dass man das laut sagte, aber<br />

man musste nicht ausgesprochen hellhörig sein, um dergleichen immer mal wieder aufzuschnappen.<br />

Und unter diesen Bedingungen verrohte tatsächlich der eine oder andere von uns.<br />

Was nicht hieß, dass derjenige zwangsläufig in die Kriminalität abrutschte. Ich weiß von einigen<br />

solchen, dass sie bei der Polizei beziehungsweise in der Volksarme gute Kariere machten.<br />

Beliebt war da wie dort das Erreichen eines Postens als Schinder, Pardon: als Ausbilder. Und<br />

zwei, die ich vom Heim her kannte, dort nicht schätze, weil sie immer mehr grobianisierten,<br />

verdienten ihre Brötchen später als Bewacher in Strafanstalten. Ein weiterer, dem ich auch so<br />

weit wie möglich mehr und mehr aus dem Weg ging, schulte nach der Lehre als Gießer um<br />

zum Pfleger in einer Psychiatrie, die er, als ich ihn nach Jahren zufällig traf, mich nicht drum<br />

gerissen, ‚Klapsmühle‘ nannte, deren Insassen ‚Bekloppte‘, bei deren Betreuung „man zu<br />

allererst nicht zimperlich sein“ dürfte. Die brauchten „schon mitunter eins auf den Hut.“ – Ja,<br />

ja, solche Entwicklungen gab es; wenn man nur lange genug als Gesindel angesehen wird, ist<br />

mitunter ein tatsächliches Abrutschen ins Gesindel so was wie ein vorgefertigter Weg. Und<br />

eines wünschten wir damals bisweilen schier alle: Einmal die Knute, die wir spürten, selbst in<br />

die Hand kriegen. Aber dann!<br />

„Na <strong>Konrad</strong>, kühlst’ dir die Hitze aus dem Hintern?... (quatschte mich, hatte ihn nicht<br />

kommen sehen, Richter an, stupste mich mit dem Fuß, und neben Richter stand Roman Lustig,<br />

einer unserer Steppkes, sieben oder acht Jahre alt) ...komm mal hoch, komm mit uns mit,<br />

<strong>Konrad</strong>. Roman würde gern ein paar Meter durchs Schilf waten, traut sich aber nicht allein.<br />

Wenn du uns begleitest, könnten wir ihn in die Mitte nehmen. So verliert sich dann seine<br />

Angst vor nichts als Schilf um sich herum am ehesten.“<br />

„Die verliert sich auch, wenn nur Sie mit ihm mitgehen.“<br />

„Er hätte aber gern für jede Hand einen. Stimmt’s, Roman, dem <strong>Konrad</strong> traust du auch<br />

zu, dass er es gut mit dir meint und dir da im Schilf nichts Schlimmes passiert?“<br />

„Ja, Konni is’ immer nett zu mir, obwohl er schon so groß is’.“<br />

„Und das sind die Großen nicht alle, was?“<br />

„Na ja nich’ alle, nee.“<br />

„Da hörst’ es, <strong>Konrad</strong>. Also mach ihm die Freude, steh auf.“ – Ja gut, auf stand ich, aber<br />

sagen tat ich: „Ich denk’, wir haben im Schilf nichts zu suchen. So heißt es doch immer.“<br />

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