Freiwild. Zum Beispiel Konrad - Hermann W. Prignitzer
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nen. Aber keine Bange, deine Arschvotze wird schon ausreichend versorgt werden. Da guck<br />
mal, da will einer per Anhalter weiter. Aber nicht mit uns. Du kriegst es sonst fertig und belästigst<br />
den jungen Mann. Du hast ja solche Ader. Was mir Herr Richter von dir erzählt hat, war<br />
schon ein kräftiger Tobak. Nicht nur, dass du es neulich am Suhlesee ohne Richters Einwilligung<br />
mit dem Bademeister getrieben hast. Nein, du musstest dir auch unbedingt noch Kamenz’<br />
Freund unter den Nagel reißen. Hast den sogar aufgestachelt, Herrn Richter aus der<br />
Bude da rauszuwerfen. Will jetzt nicht groß was von hermachen, aber einen Erzieher in der<br />
Öffentlichkeit blöd aussehen zu lassen, solltest du dir schleunigst wieder abgewöhnen. Bleib<br />
mal trotz aller Geilheit, die dich mehr und mehr anfällt, der braver Junge. Das ist schließlich<br />
die Grundvoraussetzung, dass einer ein Abitur ablegen darf. Aufmüpfige lassen wir da nicht<br />
zu. Die schicken wir in die Produktion. Da können sie sich dann bewähren, bevor die Gesellschaft<br />
neuerlich Geld für sie ausgibt. Na so was, schon wieder einer, der per Anhalter weg<br />
will. Auf Kosten anderer reisen. Im Grunde ein Art Schmarotzertum. Mal abgesehen davon,<br />
dass sich so ein Bursche nicht wundern darf, wenn ihm mal an den Arsch gegangen wird. Wer<br />
sich leichtfertig Wildfremden anvertraut, muss doch mit allem rechnen, Notzucht eingeschlossen.<br />
Aber vielleicht legt es so einer ja darauf an, dass er wen trifft, der ihn nagelt. Gibt<br />
nichts, was es nicht gibt. Und am Ende hängt er einem die Syphilis an. Ist womöglich vom<br />
Klassenfeind extra dafür ausgeschickt worden. Die lassen doch drüben nichts aus, um uns zu<br />
schaden. Dazu gehört auch das Animieren zur Unzucht. Denken, auch damit könnte man unsere<br />
gute Ordnung untergraben, durch die wir ihnen überlegen sind. Aber wir werden den<br />
Amerikanern was husten. Die verführen uns noch lange nicht zur Unzucht. Unser Volkskörper<br />
bleibt sauber. (‚Volkskörper‘ hat er tatsächlich gesagt!) Unzucht ist Dekadenz, und in der<br />
versinken nur die da drüben im Westen. Wir haben ihr den Boden entzogen. Aber das kennst<br />
du ja alles vom Staatsbürgerkundeunterricht. Und jetzt sind Ferien, und da gönnst du dir erstmal<br />
tüchtig die Freuden des Geficktwerdens. Die werden dir schon kräftig zuteil werden. Ein<br />
Mauerblümchendasein wird dir gewiss nicht zugemutet. Hattest doch noch nie über zu wenig<br />
Zuspruch zu klagen. Dazu bist du doch viel zu aufreizend. – Na Hoppla, wer will denn da<br />
vorn jetzt auf die Chaussee? Das ist doch der P70 von dem Erwin Holzmeier. Halt dich zurück,<br />
Erwin, nimm uns ja nicht die Vorfahrt.“ Und nun ward gehupt, einmal Strassner, einmal<br />
Holzmeier; und Strassner, an der Querchaussee und an Holzmeiers P70 vorbeigekutscht, fuhr<br />
nach einigen Metern rechts ran, hielt auf dem Sommerweg. Und auf unsere Straße eingebogen,<br />
hielt hinter uns der Herr Holzmeier. Er und Strassner stiegen aus, gingen aufeinander zu.<br />
„Na so was, Erwin, lange nicht gesehen und doch noch wiedererkannt. Soll ich mal raten, wo<br />
du hin willst?“<br />
„Wo es für dich unter Umständen auch interessant wäre, Peter. Wen hast’n diesmal mit?<br />
Sieht mir nach <strong>Konrad</strong> aus.“<br />
„Ja, ja, <strong>Konrad</strong> mal wieder. Du hast wohl keinen mit?“<br />
„Nee, heute nicht. Hat leider nicht geklappt... (hört’ ich, während auch ich ausstieg) ...der<br />
Norbert is’ mit den Eltern im Urlaub, und der eine von den Ralfs hat seit voriger Woche den<br />
rechten Arm in Gips. Der Junge is’ aus’m Kirschbaum gefallen. Und der andre Ralf, der fast<br />
schon Achtzehnjährige, der war partout nicht zu bewegen, hätt’ angeblich keine Zeit. Ich<br />
vermute aber, der hat inzwischen ’ne Freundin. Bei dem werden wir wohl nicht mehr groß<br />
zum Zuge kommen. – Tag, <strong>Konrad</strong>. Wie geht’s denn? Leben noch frisch?“<br />
„Ja, ja, alles in Ordnung. Guten Tag, Herr Holzmeier.“<br />
„Du, lass das Förmliche mal sein, Junge. Sag ab heute einfach ‚Erwin‘.“<br />
„Nein, das erlaube ihm mal nicht, Erwin. <strong>Konrad</strong> ist an die Anrede ‚Herr‘ und das dazugehörige<br />
‚Sie‘ gewöhnt, und da sollte es auch keine Ausnahme geben.“<br />
„Na gut, dann nicht, du bist dem Jungen der Vormund, da werd’ ich dir nicht reinzureden.<br />
Wollen wir uns auf ’ne Zigarettenlänge hier unterm Baum setzen, bevor wir weiterfahr’n?“<br />
„Ja, bin dafür. Hol mal meine Zigaretten aus dem Wagen, <strong>Konrad</strong>.“<br />
„Nee, bleib hier, Junge. Ich geb’ ’ne Runde aus.“<br />
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