Schauplaetze_SH.pdf
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Das Atomkraftwerk Brokdorf 45<br />
Demonstranten lehnte jedoch das herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem<br />
auf eine fundamentale Art und Weise ab. Nicht die Marktwirtschaft als solche<br />
stand bei der Mehrheit in der Kritik, vielmehr richtete sich der Protest gegen eine<br />
Wirtschaftspolitik, die aus Sicht der Menschen von kurzfristigen Gewinninteressen<br />
bestimmt war und deshalb nachhaltigere Alternativen zur gefährlichen und zudem<br />
endlichen Kernkraft nicht wahrnehmen wollte. Viele Menschen erkannten schon<br />
damals die Chance zu einer Wende in der Energiepolitik. Angesichts schwindender<br />
Öl-, Gas- und Uranvorkommen war es ihrer Meinung nach geboten, alternative<br />
Methoden der Energiegewinnung, basierend auf erneuerbaren Ressourcen, zu fördern.<br />
Die Enttäuschung über die Kurzsichtigkeit der Entscheidungsträger, die<br />
zudem leichtfertig eine Gefährdung von Mensch und Natur in Kauf zu nehmen<br />
schienen, kam dann unter anderem bei der ersten großen Anti-Atomkraft-<br />
Demonstration am Standort Brokdorf im Jahre 1976 zum Ausdruck. Im Laufe<br />
dieser Proteste gelang es schließlich einigen Demonstranten, einen Teil der Bauzäune<br />
zu zerstören und auf dem Baugelände „eine kleine Bauplatzbesetzung zu<br />
inszenieren“ 24 .<br />
Die Zeitung taz widmet sich in einem 2006 erschienenen Artikel mit dem Titel<br />
„Das Symbol Brokdorf“ ausführlich dem dreißig Jahre zurückliegenden Ereignis.<br />
Der 30. Oktober 1976 ist ein „nebliger und verregneter Tag“. Der „Boden der<br />
Wilster Marsch ist matschig.“ 25 Die Atomkraftwerks-Betreiberfirma Nordwestdeutsche<br />
Kernkraftwerks AG hatte wenige Tage zuvor ein „Areal am Rande des schleswig-holsteinischen<br />
Dorfes Brokdorf in der Wilster Marsch in einer Nacht- und Nebelaktion<br />
gekapert“ 26 , um dort ein weiteres Atomkraftwerk zu bauen. Die Besetzung<br />
des Bauplatzes ist nur von kurzer Dauer. Die Polizei vertreibt die Besetzter noch am<br />
selben Tag vom Gelände und geht dabei nicht zimperlich vor. Es gibt Verletzte.<br />
Doch trotzdem demonstrieren am nächsten Tag wieder 4.000 Menschen. Diesmal<br />
gegen die polizeiliche Willkür vom Vortag. Nach den Ereignissen von Brokdorf<br />
kommt es zu einem Boom bei der Gründung von Bürgerinitiativen. 27<br />
Unter dem Motto, dass der Bauplatz wieder zur Wiese werden müsse, 28 ziehen<br />
am 13. November 1976 30.000 Atomkraftgegner zum Bauplatz. Nach dem Versuch<br />
einiger Demonstranten, den Bauzaun erneut zu überwinden, entsteht „eine<br />
stundenlange Schlacht, die es in der Intensität noch nicht gegeben hat.“ 29 Steine<br />
fliegen, die Polizei antwortet mit Reizgas, Wasserwerfern und Rauchbomben. Sogar<br />
Hubschrauber setzen Tränengas ein. Die Härte der Polizei wird von vielen<br />
Seiten kritisiert, weil durch sie der große Teil friedlicher Demonstranten ebenfalls<br />
betroffen ist. 30 Und spätestens nach diesen bürgerkriegsähnlichen Ereignissen<br />
„wurde klar, daß es in Brokdorf nicht nur um den Bau eines einzelnen Atommei-<br />
24 Drieschner (2006).<br />
25 Storim et al. (2006), S. 1.<br />
26 Ebd.<br />
27 Ebd., S. 2.<br />
28 Ebd., S. 3.<br />
29 Ebd.<br />
30 Nowottny et al. (2001), S. 276.