Schauplaetze_SH.pdf
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Das Pestkreuz von Sankt Lorenz in Lübeck 79<br />
zeigte sich die Pest erst zu Beginn des Jahres 1350. 20 Lübeck wurde vergleichsweise<br />
spät, um Pfingsten 1350, erreicht, vermutlich von Norden her über Jütland,<br />
Schleswig und Holstein. 21 Über diesen ersten Pestfall in der Hansestadt berichtet<br />
der Chronist Detmar von Lübeck (gest. um/nach 1395), seinerzeit Lesemeister am<br />
dortigen Katharinenkloster: „In deme sulven jare des somers van pinxsten bet to<br />
sunte Mychaelis daghe do was so grot stervent der lude in allen Dudeschen landen,<br />
dat des ghelikes ne was ervaren, unde het noch de grote dot, […] in der stad to<br />
Lubeke storven by eneme naturliken daghe sancti Laurentii [10. August], van der<br />
ener vesper tho der anderen 25 hůndert volkes betalt.“ 22 Von Lübeck zog die Pest<br />
entlang der Küste weiter Richtung Osten. Dort blieb die Seuche allerdings vornehmlich<br />
auf die Küstenstädte beschränkt. Die Binnenländer, beispielsweise das<br />
Gebiet des Deutschen Ordens an der unteren Weichsel, scheinen von der Pest<br />
nicht erreicht worden zu sein, auch wenn sie 1350 nahe der Weichselmündung in<br />
Danzig grassierte. Aber auch im dichter besiedelten Reich blieben einzelne Regionen<br />
und Städte, beispielsweise Göttingen, scheinbar pestfrei. 23 Und selbst große<br />
Metropolen wie Nürnberg, Würzburg, Prag und Köln wurden zunächst verschont;<br />
die Pest erreichte sie erst während einer der späteren Wellen in den 1350er und<br />
60er Jahren. 24<br />
Die schnelle Ausbreitung der Seuche über den gesamten Kontinent ist, wie erwähnt,<br />
vornehmlich der Handelsschifffahrt zuzuschreiben. Der kontinentaleuropäische<br />
Warentransport war in jener Zeit zu Wasser wesentlich schneller als zu Land.<br />
Schwer zu überwindende Bergketten wie die Alpen und die herzynisch verlaufenden<br />
Mittelgebirge verlangsamten zusätzlich das Vordringen von Süden nach Norden.<br />
Die Ausbreitung von Seuchen in Städten wurde durch die dort herrschenden<br />
engen und unhygienischen Wohnbedingungen begünstigt. Das Land war daher<br />
weniger stark betroffen. 25 Der Weg, den der Pesterreger über Land in die Städte<br />
fand, ist schwer nachzuvollziehen. Da Ratten nur bedingt auf dem Wagen ‚mitreisen‘<br />
konnten, nimmt man an, dass sich pestverseuchte Flöhe in den Waren, vorzugsweise<br />
in Getreide und Fellen, befanden, die dann die Ratten der Stadt befielen.<br />
Eine andere Übertragungsweise wird für die Uelzener Pest von 1597 aufgezeigt:<br />
Hier wurde der Erreger wohl von kranken ländlichen auf gesunde städtische Ratten<br />
übertragen, und zwar an Kontaktstellen in der Stadtmauer – an Stadttoren,<br />
Türmen mit Durchlässen und Sielöffnungen. Diese Interpretation erschloss sich<br />
durch die Untersuchung der Topographie des Pestverlaufs, bei der sich zeigte, dass<br />
die Epidemie ursprünglich von Häusern ausging, die an der Stadtmauer lagen. 26<br />
20 Vasold (1999), S. 49 f.<br />
21 Ibs (1994), S. 86 ff.<br />
22 Lübecker Chroniken 1, S. 521 f.<br />
23 Vasold (1999), S. 48.<br />
24 Bergdolt (2006), S. 44.<br />
25 Bulst (1985), S. 253 f.<br />
26 Woehlkens (1954), S. 103 f.