Schauplaetze_SH.pdf
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Das Pestkreuz von Sankt Lorenz in Lübeck 87<br />
Auftreten der Pest nur etwa alle zehn Jahre, das der Einrichtung von Dauerinstitutionen<br />
nicht bedurfte, eine viel zu geringe Aufnahmekapazität für die Opfermassen<br />
und v. a. die nur geringe Aussicht auf Heilung, die der Aufenthalt an einem solchen<br />
Ort versprach. 67 Um die für Bau, Personal, Transportmittel und Unterhalt<br />
benötigte, nicht unbeträchtliche Geldsumme aufzubringen, versuchte man, alle<br />
Teile der Bürgerschaft zu gewinnen, die sich angesichts der gefährlichen Situation<br />
auch meist zu Geldspenden bereitfanden. 68 Für den Bau eines Pestspitals waren<br />
einige Kriterien zu erfüllen, wobei der Bauplatz von entscheidender Bedeutung<br />
war: Sie sollten vor der Stadt errichtet werden, womit man die Gesunden von den<br />
Kranken zu trennen suchte, gleichzeitig aber für letztere einen reinlichen Ort wählte,<br />
der genügend frische Luft versprach. Im Idealfall sollten diese auch bei einem<br />
Gewässer stehen, an einem Fluss etwa, der Zugriff auf sauberes Wasser bot, in<br />
dem man die infizierte Wäsche waschen konnte und der – im übertragenen Sinne –<br />
die Pestilenz hinweg spülen konnte. Hinsichtlich der Isolation war eine Insel am<br />
geeignetsten. Schon das älteste kontinuierlich genutzte Pestspital der Welt, das<br />
Lazzaretto Vecchio, wurde 1423 auf einer kleinen Insel vor Venedig gegründet. 69<br />
Auch waren die Gebäude in mehrere Abteilungen zu gliedern, solche für Pestverdächtige,<br />
Infizierte, Rekonvaleszente und schließlich für das Personal. 70<br />
Abgesehen von der latenten Ansteckungsgefahr mit der Seuche, die von einem<br />
Spital in Form verpesteter Luft und infizierter Menschen ausging, verabscheute die<br />
Stadtbevölkerung diesen Ort noch aus einem anderen Grund: Oft herrschten dort<br />
moralisch zweifelhafte Sitten: Betrug, Brutalität und unmenschliche Verhaltensweisen<br />
gegenüber den Kranken, verstärkter Alkoholkonsum sowie unmoralische sexuelle<br />
Handlungen sind für viele Pesthäuser belegt. Des Augsburger Spitals wurden<br />
1563 zwei Wärterinnen verwiesen, die nach einem nächtlichen Trinkgelage Geschlechtsverkehr<br />
mit Kranken gehabt haben sollen, „unzucht und gailhait von<br />
eehalten und krancken“ erforderten die umgehende Aufstellung einer neuen Pestordnung.<br />
Auch zwischen den Kranken kam es zu skandalösen Kontakten, so im<br />
Nürnberger Lazarett, wo „die wiedergenesenden Manns- und Weibspersonen den<br />
Mangel an Aufsicht [benutzten], um zusammenzukommen und allerhand Leichtfertigkeit<br />
und Unzucht zu treiben“. In Wien wurden 1679 etliche Knechte des<br />
Spitals wegen Schwängerung Kranker verhaftet, der Regensburger Pestmeister<br />
1627 hingerichtet, weil er „mit vielen inficirten Leuten auch Weibs Bildern, die er<br />
in der Chur gehabt, zu thun gehabt“ haben soll. Der Hausvater des Halleschen<br />
Lazaretts wurde mehrfach beschuldigt, die Patienten auf grausamste Weise zu behandeln<br />
und diese noch vor Ableben um ihre wenigen Habseligkeiten zu erleichtern.<br />
Die Verstorbenen wurden zuweilen begraben „wie das viech“. Noch Lebenden<br />
wurden vom Personal Lebensmittel verkauft, die von der Stadt eigentlich kos-<br />
67 Ulbricht (2004b), S. 96 f.<br />
68 Bulst (1985), S. 261.<br />
69 Bergdolt (2006), S. 76.<br />
70 Ulbricht (2004b), S. 97 ff.