Schauplaetze_SH.pdf
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Andreas Kieseler<br />
großen Zahl an Todesopfern, die binnen eines kurzen Zeitraumes – meist wütete<br />
die Seuche im Spätsommer – zu beklagen war, stieß man im Hinblick auf die Bestattungsmöglichkeiten<br />
auch in größeren Städten schnell an seine Grenzen. So war<br />
die Anlage eines eigens für Pestopfer bestimmten Friedhofes außerhalb der Stadtmauern<br />
nicht nur den Hygienemaßnahmen, sondern v. a. der Raumnot geschuldet.<br />
Nicht selten mussten die vielen Toten, wie 1428 in Hannover geschehen, einfach<br />
in Massengräbern beerdigt werden. In Mainz ‚wuchsen‘ die Friedhöfe in die<br />
Höhe, da man Erde aufschüttete, um die Toten übereinander zu begraben. 58 In<br />
Braunschweig sah man sich 1484 dazu gezwungen, die Steinwege auf den Friedhöfen<br />
abzunehmen, um mehr Gräber für die Pesttoten ausheben zu können. 59 Die<br />
Anlage von Massenfriedhöfen auf den Feldern vor der Stadt war zweischneidig:<br />
Einerseits begrüßte man diese Lösung, um dem ständigen Infektionsrisiko durch<br />
die auf den öffentlichen Kirchhöfen frisch angelegten Gräber, von denen ansteckende<br />
Ausdünstungen (Miasmen) ausgehen sollten, zu entgehen. Außerdem lief<br />
die gesunde Stadtbevölkerung so nicht Gefahr, sich beim bloßen Anblick einer<br />
Pestleiche zu ‚erschrecken‘, was ebenfalls den Ausbruch der Seuche auslösen konnte.<br />
60 Andererseits wollte auch niemand abseits der Kirche auf einem beliebigen<br />
Acker begraben liegen, geschweige denn völlig anonym in einem kalkbestreuten<br />
Massengrab. Den Armen und Ärmsten blieb hierbei keine Wahl, nur die Reichen<br />
konnten sich und Anverwandte bei entsprechender Bezahlung sogar innerhalb der<br />
Kirchen bestatten lassen. 61<br />
Der Friedhof von St. Lorenz war nicht der erste auswärtige Pestfriedhof, den<br />
die Lübecker einrichteten. Bereits während der ersten Pestwelle von 1350 hatte<br />
man im Osten der Stadt, vor dem Burgtor, einen Friedhof und bald darauf eine<br />
Kapelle errichtet, die beide der Schutzpatronin der Reisenden, der Heiligen Gertrud,<br />
geweiht wurden. 62 Ähnliche Gründungen folgten zu jener Zeit auch in Hamburg<br />
und Kiel, wo man so die innerstädtische Platznot umging. 63 Für Lübeck<br />
scheint diese Anlage damals auch „die einzige praktische Vorkehrung“ gewesen zu<br />
sein, „die die Stadt angesichts der Pest traf.“ 64<br />
Anders verhielt es sich mit den Pesthäusern und -spitälern. Der Bau dieser<br />
Einrichtungen begann – von wenigen Ausnahmen abgesehen 65 – erst im 16. und<br />
17. Jahrhundert. 66 Dass man solche erst anderthalb Jahrhunderte nach der ersten<br />
schweren Epidemie einrichtete, hatte wohl verschiedene Gründe: Das periodische<br />
58 Seelbach (2007), S. 385.<br />
59 Bulst (1985), S. 255.<br />
60 Ulbricht (2004b), S. 99.<br />
61 Seelbach (2007), S. 385 ff.<br />
62 Peters (1939), S. 32; Ibs (1994), S. 160; Hauschild (1981), S. 112.<br />
63 Ibs (1994), S. 159 ff.<br />
64 Peters (1939), S. 32.<br />
65 In Deutschland wurden wenige Spitäler schon zum Ende des 15. Jahrhunderts gegründet, so in<br />
Braunschweig 1473, in Celle 1495 und in Nürnberg 1498 (Vasold (1999), S. 100).<br />
66 Ulbricht (2004b), S. 96; Bulst (1985), S. 261.