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Kleines Lehrbuch der Astronomie und Astrophysik - Astronomie.de

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Neutrinoastronomie<br />

106<br />

Teleskope, Detektoren, Meßgeräte<br />

Die Wechselbeziehung zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong> Elementarteilchenphysik <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Astrophysik</strong> zeigt sich auf <strong>de</strong>m<br />

Sektor <strong><strong>de</strong>r</strong> Beobachtungen <strong>und</strong> Messungen kaum so <strong>de</strong>utlich wie in <strong><strong>de</strong>r</strong> Neutrinoastronomie. Dieser<br />

relativ mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne Zweig <strong><strong>de</strong>r</strong> beobachten<strong>de</strong>n <strong>Astronomie</strong> beschäftigt sich mit <strong><strong>de</strong>r</strong> außeror<strong>de</strong>ntlich<br />

schwierigen Aufgabe <strong>de</strong>s Nachweises <strong>und</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Untersuchung kosmischer Neutrinos, die in<br />

unvorstellbarer Zahl die Er<strong>de</strong> durchfluten. Durchfluten ist dabei das richtige Wort, da z.B. allein je<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Quadratzentimeter dieses Buches pro Sek<strong>und</strong>e von r<strong>und</strong> 70 Milliar<strong>de</strong>n Neutrinos, die bei <strong>de</strong>n<br />

Kernfusionsprozessen in <strong><strong>de</strong>r</strong> Sonne entstehen, getroffen wird. „Getroffen“ ist dabei eigentlich das<br />

falsche Wort, <strong>de</strong>nn für solare Neutrinos ist dieses Buch, ja sogar die ganze Er<strong>de</strong> quasi nicht existent.<br />

Ihr Wirkungsquerschnitt ist so gering, daß erst eine Bleischicht von ca. 1 Lichtjahr Stärke einen<br />

Neutrinofluß um die Hälfte dämpfen wür<strong>de</strong>.<br />

Neutrinos wur<strong>de</strong>n vor mehr als 70 Jahren (1930) von WOLFGANG PAULI (1900-1958) in die Physik<br />

eingeführt, um <strong>de</strong>n Energiesatz beim<br />

−<br />

β -Zerfall zu retten. Dieses hypothetische Teilchen bekam<br />

etwas später von ENRICO FERMI (1901-1954) <strong>de</strong>n Namen „Neutrino“, <strong><strong>de</strong>r</strong> bis heute beibehalten wur<strong>de</strong>.<br />

Insgesamt drei verschie<strong>de</strong>ne Neutrinoarten („Flavor“) + ihre Antiteilchen (die sich durch ihren Spin<br />

von <strong>de</strong>n normalen Neutrinos unterschei<strong>de</strong>n) bevölkern das sogenannte Standardmo<strong>de</strong>ll <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Elementarteilchenphysik. Ihre charakteristische Eigenschaft ist ihre durch die schwache<br />

Wechselwirkung bedingte extrem geringe Wechselwirkungswahrscheinlichkeit mit an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Teilchen.<br />

Gera<strong>de</strong> dieser Fakt macht auch ihren experimentellen Nachweis so extrem schwierig. Beispielsweise<br />

beträgt <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirkungsquerschnitt σ ν <strong><strong>de</strong>r</strong> Reaktion (Neutrinoeinfang)<br />

ν + p → e<br />

e<br />

+<br />

+ n<br />

( ν e Elektronenneutrino, p Proton, n Neutron,<br />

+<br />

e Positron)<br />

43<br />

lediglich 10 −<br />

cm². Diese verschwin<strong>de</strong>nd kleine Zahl läßt sich folgen<strong><strong>de</strong>r</strong>maßen interpretieren: Um ein<br />

einziges Elektronenneutrino gemäß <strong><strong>de</strong>r</strong> obigen Reaktion (inverser ß-Zerfall) einzufangen, benötigt man<br />

eine Wassersäule mit einer Querschnittsfläche von 1 cm² <strong>und</strong> einer Länge von r<strong>und</strong><br />

18<br />

3⋅ 10 cm (3<br />

Lichtjahre!). Der direkte Nachweis ausgewählter einzelner Neutrinos ist nach diesen Überlegungen<br />

völlig illusorisch. Nur genügend intensive Neutrinoströme, wie sie beispielsweise von Kernreaktoren<br />

(o<strong><strong>de</strong>r</strong> von <strong><strong>de</strong>r</strong> Sonne) ausgehen, bieten die Chance, Neutrinos durch Einfangreaktionen experimentell<br />

nachzuweisen. Dieses Kunststück gelang zu Beginn <strong><strong>de</strong>r</strong> fünfziger Jahre <strong>de</strong>s vergangenen Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts<br />

einer Arbeitsgruppe <strong>de</strong>s Los Alamos Scientific Laboratory unter Leitung von CLYDE COWAN (1919-<br />

1974) <strong>und</strong> FREDERICK REINES (1918-1998) am Savannah-River Reaktor in South Carolina/USA<br />

(Nobelpreis 1995). Wie<strong><strong>de</strong>r</strong> ein Jahrzehnt später (1961) konnte auch das Myonenneutrino durch LEON<br />

M. LEDERMAN, MELVIN SCHWARTZ <strong>und</strong> JACK STEINBERGER nachgewiesen wer<strong>de</strong>n (Nobelpreis 1988).<br />

Der experimentelle Nachweis <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Neutrinoart, <strong>de</strong>m Tauneutrino, gelang erst im Jahr 2000.<br />

Neutrinos sind für die <strong>Astronomie</strong> u.a. <strong>de</strong>shalb interessant, weil sie in riesiger Zahl in <strong>de</strong>n Sternen bei<br />

Kernfusionsprozessen o<strong><strong>de</strong>r</strong> bei Kollapsereignissen (z.B. bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Entstehung eines Neutronensterns bei<br />

einer Supernova-Explosion) entstehen. Außer<strong>de</strong>m erwartet man noch einen „Neutrino-Hintergr<strong>und</strong>“,

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