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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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wurde gleich nach seiner Geburt zur intensiven<br />

Vermögensbildung durch Sparen aufgefordert. Auch Helmut<br />

hatte als Kind mehrere Post-Sparbücher, die sich aber durch<br />

unterschiedliche Lebensschwankungen nicht zu einem<br />

Vermögen, sondern zu einem ewig überzogenen Dispokredit bei<br />

der Postbank entwickelten. In Ostdeutschland gab es immer<br />

mehr Geld als Waren, deswegen war die gesamte Geschichte der<br />

DDR ein einziger langer Weltspartag. Bei uns in der<br />

Sowjetunion gab es weder Geld noch Waren, also blieb uns<br />

dieser Festtag des Sparens erspart.<br />

Den ersten Musiker an jenem Weltspartag fanden wir in der<br />

Unterführung Friedrichstraße. Jung, männlich, russisch.<br />

Musikinstrument: ein Keyboard der Marke Roland. Gespielt<br />

wurde eine Phantasie aus Tschaikowskys »Schwanensee« und<br />

dem Beatles-Song »She loves you«. Besondere Bemerkung: Die<br />

Tschaikowsky-Musik, gemischt mit den U-Bahn-Geräuschen,<br />

klingt so authentisch, als wäre sie extra für die Unterführung<br />

Friedrichstraße komponiert worden. Innerhalb von zwanzig<br />

Minuten hat der Musiker damit aber nichts verdient.<br />

Im heutigen wiedervereinigten Deutschland ist Sparen ein<br />

wichtiges Thema. Laut Statistik stirbt jeder Deutsche mit<br />

durchschnittlich hundertfünfzigtausend Euro auf dem Konto.<br />

Die Finanzexperten sehen darin eine Besinnung der Deutschen<br />

auf die alten Wikingersitten. Alles Wertvolle nahmen die<br />

Wikinger mit ins Grab. Die Krieger ließen ihre Waffen, ihre<br />

schicken Kleider und den Körperschmuck mit sich begraben,<br />

behaupten die Finanzexperten. Was man aber in Walhalla mit<br />

hundertfünfzigtausend Euro machen soll, das habe ich nicht<br />

verstanden.<br />

Am Alexanderplatz ist nichts zu hören. Auch am Leopoldplatz<br />

– <strong>kein</strong>e Spur von Musik. Wo sind sie nur alle?<br />

Objekt Nummer zwei: ein Duo. Ein Mann mit Gitarre und eine<br />

Frau mit Geige in einer Unterführung in Mitte. Beide vermutlich<br />

um die vierzig, vermutlich Russen, die Melodie vermutlich<br />

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