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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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Erwachsene einfallen lassen, sonst wären die Blauhelme hier<br />

schon längst einmarschiert.<br />

<strong>Ich</strong> als zweifacher Vater, der täglich mit dem deutschen<br />

Schulwesen zu tun hat, kann diese internationale Aufregung gut<br />

nachvollziehen. <strong>Ich</strong> wage schon lange nicht mehr, meine Kinder<br />

zu fragen, was sie heute gelernt haben. In der Grundschule<br />

machen sie sowieso hauptsächlich »Projekte«, und bei gutem<br />

Wetter hopsen sie auf dem Hof herum.<br />

In unserem Bezirk gibt es drei Grundschulen zur Auswahl: die<br />

liberale fortgeschrittene Montessorischule, die unheimlich<br />

konservative katholische und die ganz normale deutsche<br />

demokratische. Bei den Montessoris, so hat man mir erzählt,<br />

wird nur dann gelernt, wenn die Kinder Lust auf Unterricht<br />

haben. Sie werden jeden Morgen von den Lehrern dazu befragt.<br />

Natürlich kommt es dabei auf die Betonung an. Wenn ein Lehrer<br />

selbst <strong>kein</strong>e große Lust verspürt, sich mit einer komplizierten<br />

Materie auseinanderzusetzen, kann er immer sagen: »Na – heute<br />

Lust auf Mathe?« Wenn er es aber mit dem Unterrichten ernst<br />

meint, fragt er: »Na? Heute? Lust? Auf Mathe?«<br />

Manchen konservativen Eltern scheinen solche<br />

Bildungsgrundlagen zu instabil. Ein Freund von mir entschied<br />

sich deswegen für den Hort des rechten Glaubens, die<br />

katholische Schule. Er lieh sich bei mir eine Videokamera aus,<br />

um die feierliche Einschulung seiner Tochter zu filmen, bekam<br />

dort aber ein Drehverbot, weil im Jahr zuvor ein<br />

Einschulungsvideo aus dieser Schule auf Kinderpornoseiten im<br />

Internet gelandet war. Wir haben uns für die ganz normale<br />

deutsche demokratische Grundschule entschieden, über die ich<br />

hier <strong>kein</strong> schlechtes Wort verlieren möchte. Diese Schule hat im<br />

Gegenteil Lob verdient. Sie hat alles, was die heranwachsende<br />

Generation zum Einstieg in die Erwachsenenwelt braucht – ein<br />

Tischtennis-Set, einen Kicker, einen Billardtisch und sämtliche<br />

gängigen Computerspiele. Nur ein Tresen fehlt noch und ein<br />

Flipperautomat. Doch alle wissen: Berlin hat für Bildung nur<br />

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