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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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»Jetzt gebe ich die Sonderzutaten dazu«, fuhr der Bonbonist<br />

fort, »also die Zitronensäure, ein bisschen Puderzucker, einen<br />

Schuss Waldmeister und die alten Bonbons von vorgestern, die<br />

nichts geworden sind.«<br />

In der Enge stieß die Praktikantin gegen ein Regal, und der<br />

Kameramann streifte mit der Kamera einen Wandschrank: Ein<br />

Stapel CDs, eine halb volle Kaffeetasse und ein Glas mit einem<br />

braunen Pulver fielen herunter und verschwanden blitzschnell in<br />

der grünen Kacke. Der Bonbonmacher war aber dermaßen gut<br />

drauf, dass er nur den Kopf schüttelte, als hätte er nichts<br />

bemerkt.<br />

<strong>Ich</strong> stellte mich neben ihn und begann mit meinem ersten<br />

Aufsager: »Viele denken, Berlin sei nur so eine Spaßstadt …«<br />

»Was du nicht sagst«, konterte sofort eine kinderreiche Mutter,<br />

»wer denkt denn so einen Blödsinn?«<br />

»Seid ihr vom Kinderkanal?«, drängten die Kinder nach vorne.<br />

Sie wollten ins Fernsehen.<br />

<strong>Ich</strong> ließ mich nicht ablenken: »Also … eine Spaßstadt. Doch<br />

hier sehen Sie eine echte, traditionsreiche <strong>Berliner</strong> Fabrik …«<br />

»Das ist <strong>kein</strong>e Fabrik, sondern eine Bonbonmacherei«,<br />

empörte sich der Bonbonmacher.<br />

Nach einer kurzen, aber harten Diskussion einigten wir uns<br />

darauf, dass man die Bonbonmacherei für einen Tag in eine<br />

Fabrik umtaufen könne. Inzwischen war die grüne Kacke kalt<br />

geworden. Sie sollte nun in einer speziellen Maschine zu<br />

appetitlichen Maiblättern geschnitten werden. Wir mussten eine<br />

neue Drehposition suchen.<br />

<strong>Ich</strong> stellte mich mit einer Bonbontüte in der Hand neben die<br />

Verkaufstheke und fuhr fort: »Für den ausgefallenen Geschmack<br />

gibt es hier Feuerhimbeeren mit Geiennepfeffer. Die meisten<br />

Kunden entscheiden sich jedoch für die Maiblätter – eine echte<br />

<strong>Berliner</strong> Spezialität«, sagte ich in die Kamera und stopfte mir<br />

mehrere davon in den Mund.<br />

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