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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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machte nun mit dem Kapitalismus andere Geschäfte. Mit Hilfe<br />

der Politik wurden die Gewinne privatisiert, die Verluste<br />

dagegen verstaatlicht. Aufgrund eines solchen Geschäfts hat<br />

zum Beispiel die Stadt Berlin einen Schuldenberg abzutragen,<br />

an dem die Bewohner völlig unschuldig sind. Die Politiker und<br />

Bankiers, die für ihn verantwortlich sind, leben inzwischen<br />

schuldenfrei auf Hawaii.<br />

In einer so stark verschuldeten Stadt war der Job des<br />

Bürgermeisters bisher darauf reduziert, regelmäßig Steuern als<br />

Zinszahlung für bestehende Schulden zu überweisen. Sollte<br />

einmal etwas in der Staatskasse übrig bleiben, bekam es die<br />

Oper. Da ist nichts zu machen, niemand will uns helfen, klagte<br />

der Bürgermeister. Aber statt sich wie eine beleidigte<br />

Leberwurst aufzuführen, sollte die Stadt sich die Regeln des<br />

Gegners zu eigen machen und sich in eine Firma verwandeln.<br />

Am besten in eine Aktiengesellschaft, deren Aktionäre die<br />

Einwohner sind.<br />

Als Bürgermeister würde ich für das alte überschuldete Berlin<br />

daher Pleite anmelden und gleichzeitig eine neue Stadt gründen:<br />

die New Berlin AG – potent, kreativ und unverschuldet. Das alte<br />

Berlin steht dann natürlich zur Auktion. Nicht ausgeschlossen,<br />

dass wir ein paar Bezirke an private ausländische Investoren<br />

verkaufen müssen. Welche Bezirke das sind, könnten wir per<br />

Volksentscheid festlegen, obwohl ich persönlich am liebsten die<br />

fünf Bezirke loswerden würde, die letztes Jahr für die NPD<br />

gestimmt haben. Sie werden an ausländische Investoren mit<br />

ehrgeizigen Projekten und großen Bauvorhaben verkauft. Mir<br />

schweben da die längste Achterbahn der Welt, die größte<br />

Moschee Europas oder ein Scientology Center vor. Und in<br />

einem, höchstens drei Jahren, wenn die ausländischen<br />

Investoren von unseren Mitbürgern genug haben werden und die<br />

Flucht ergreifen, kaufen wir die Bezirke zu einem symbolischen<br />

Preis von je zehn Euro zurück. Wobei natürlich nur mit Aktien<br />

unseres neuen Berlins bezahlt wird.<br />

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