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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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Diese erschien innerhalb von dreißig Sekunden, als hätte sie<br />

den ganzen Tag nur auf uns gewartet.<br />

»Die stecken doch alle unter einer Decke«, argwöhnte Olga,<br />

meine Frau, sofort.<br />

Die zwei schweigsamen portugiesischen Polizisten nahmen<br />

uns mit zum wunderschönen Rossio-Platz, unserem zweiten<br />

geplanten Anlaufpunkt auf dem »Weg 1. Lissabon im<br />

Überblick«. Dort, in einem Porzellanladen in einem kleinen<br />

Hinterzimmer mit großen Schaufenstern, befand sich das<br />

Polizeirevier. Es war anscheinend spezialisiert auf die<br />

ausländischen Gäste der portugiesischen Hauptstadt, die sich auf<br />

den Reiseführer »Metropole am Atlantik. Abseits der<br />

Touristenwege« verlassen hatten. Die Polizisten hatten viel zu<br />

tun.<br />

An fünf Tischen saßen sie – mit mehreren angenähten<br />

Staatsfahnen auf ihren Hemden. Jede Fahne stand für ein Land,<br />

dessen Sprache der jeweilige Polizist beherrschte. Es gab einen<br />

mit zwei, einen mit drei und einen sogar mit fünf Fahnen.<br />

Letzterer sah jedoch sehr müde aus. Vor ihnen saßen und<br />

standen jede Menge verstörter Menschen aus der ganzen Welt.<br />

Zwei Mädchen brachen synchron alle zwei Minuten in Tränen<br />

aus. Junge Männer ballten aggressiv die Fäuste und warfen böse<br />

Blicke um sich. Ein Australier hob und senkte immer wieder<br />

beide Hände. Zuerst dachte ich, er würde eine Art Yoga machen,<br />

um sich zu beruhigen. In Wirklichkeit bemühte sich der Mann<br />

jedoch, der portugiesischen Polizei noch einmal deutlich zu<br />

machen, was genau ihm geklaut wurde. Nach seinen<br />

Bewegungen zu urteilen, war es etwas sehr Großes und ziemlich<br />

Rundes, wie ein großes Kuchenherz.<br />

Vor uns saßen zwei Spanier, die wie Profikiller aus Hollywood<br />

aussahen, gefährlich und muskelbepackt. Aber auch sie waren<br />

Opfer, ihnen hatte man alles geklaut, sogar den Reiseführer.<br />

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