13.02.2013 Aufrufe

Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ein Jungfräulichkeitszeugnis bei mehrfachen Müttern ist <strong>kein</strong><br />

Problem mehr. Also muss die Beamtin nach einer gewissen Zeit<br />

doch ihren Kassettenrekorder mit der Mendelssohn-Kassette aus<br />

dem Wandschrank klappen.<br />

Mit der standesamtlichen Eintragung bekommt der<br />

Ausländerteil nicht automatisch das Aufenthaltsrecht in<br />

Deutschland. Denn die frisch Verheirateten könnten sich ja rein<br />

theoretisch für ein glückliches und zufriedenes Leben in einem<br />

der Länder der Gruppe B entscheiden. Wenn das nicht der Fall<br />

ist, müssen sie zur Ausländerbehörde, die es sich zur Aufgabe<br />

gemacht hat, gemischte Ehen in Deutschland auszurotten. Dort<br />

wird nicht mehr Mendelssohn gespielt und nicht mehr über die<br />

Liebe gesprochen. Auch die Ehefähigkeit des Partners<br />

interessiert dort niemanden mehr. Dem deutschen Staatsbürger<br />

wird erklärt, dass er sich im Falle einer Scheinehe strafbar<br />

macht, hundertprozentig im Knast landet und nie wieder<br />

herauskommt. Dem Ausländer wird klargemacht, es wäre besser<br />

für ihn gewesen, er hätte nie sein Land der Gruppe B verlassen.<br />

Noch ist es nicht zu spät, noch kann er zurück. Die<br />

Verheirateten werden einzeln verhört.<br />

Inzwischen haben die Mitarbeiter der Ausländerbehörde eine<br />

solche Meisterschaft erreicht, dass es dort tatsächlich nur der<br />

ganz großen Liebe gelingt durchzukommen. Wer seine<br />

Beziehung mit Würde durch die Hölle der Ausländerbehörde<br />

getragen hat, wird seine Ehe zu schätzen wissen. Neulich<br />

heiratete eine Freundin von uns, eine Staatsangehörige der<br />

Gruppe B, zum zweiten Mal einen Deutschen – ein kurioser<br />

Fall, der wahrscheinlich alle hundert Jahre einmal vorkommt.<br />

Die Beamtin war außer sich vor Wut und las die entsprechende<br />

Akte von Anfang bis zum Ende laut vor.<br />

»Das ist doch nicht zu fassen«, rief sie schließlich. »<strong>Ich</strong> kann<br />

gar nicht so schnell lesen, wie sich dein Leben verändert!« Der<br />

deutsche Bräutigam, ein fanatischer Fußballspieler, den es zum<br />

ersten Mal in die Ausländerbehörde verschlagen hatte, regte sich<br />

144

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!