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Wladimir Kaminer Ich bin kein Berliner

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dem – schauen Sie bitte nach rechts – <strong>Berliner</strong> Dom«, fuhr der<br />

Reiseführer fort.<br />

»Wenn man also den Asbest-Palazzo sprengt, bricht auch der<br />

Dom in sich zusammen. Deswegen werden beide Gebäude nun<br />

langsam, Stück für Stück, auseinandergenommen, um die<br />

Balance nicht zu gefährden. Der <strong>Berliner</strong> Dom wird danach<br />

wieder neu aufgebaut, und an Stelle des ehemaligen Palastes der<br />

Republik …«<br />

Der Stau löste sich auf, wir fuhren weiter.<br />

<strong>Ich</strong> muss auch einmal so eine Stadtrundfahrt machen,<br />

überlegte ich. Diese Touristen wussten anscheinend mehr über<br />

die Stadt und ihre Zukunft als ich. Einige Touristen notierten<br />

sich sogar Informationen, die ihnen besonders interessant<br />

vorkamen. Wie würden diese Notizen wohl aussehen? »Habe<br />

heute in Berlin auf einer Brücke Asbest inhaliert. Voll geiler<br />

Kick. Danach Kopfschmerzen, Hunger, Durst.«<br />

In der letzten Zeit treffe ich überall auf Touristen, sogar in den<br />

entlegensten Winkeln Ostberlins. Dort, wo es überhaupt nichts<br />

mehr gibt, weder Brücke noch Dom. Neulich war ich Zeuge, wie<br />

eine Gruppe Japaner in Friedrichshain eine halbe Stunde lang<br />

einen Betonmischer beobachtete. War es vielleicht ein<br />

besonderer Betonmischer? Drehen sich die Dinger in Japan<br />

vielleicht andersherum? Ist das eine Zeile im Reisetagebuch<br />

wert? »Gestern in Berlin, habe Asbest inhaliert, danach halbe<br />

Stunde lang Betonmischer beobachtet. Anfangs leichte<br />

Halluzinationen, kleine rote Sternchen, später Müdigkeit,<br />

Erschöpfung.«<br />

Nicht nur die Taxifahrer, auch viele meiner Bekannten<br />

meckern über die Touristen. <strong>Ich</strong> aber mag sie. <strong>Ich</strong> zeige ihnen<br />

gerne, wie sie da und dort hinkommen, auch wenn ich den<br />

richtigen Weg selbst nicht kenne.<br />

»Wohnen Sie wirklich hier?«, fragen sie mich.<br />

»Ja«, antworte ich, »und wie! In fünfter Generation!«<br />

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